E.M. Remarque
Dompteuse am Sonntag.
Lisa
und Riesenfeld kommen zurück. «Ich weiß nicht, was los ist», sagt Lisa. «Ich
habe plötzlich solche Kopfschmerzen. Ich gehe mal ein Aspirin nehmen ...»
Bevor
Riesenfeld aufspringen kann, ist sie schon vom Tisch weg. Georg sieht mich
entsetzlich selbstgefällig an und greift nach einer Zigarre.
XVII
«Das
süße
Licht», sagte Isabelle. «Warum wird es schwächer? Weil wir ermatten? Wir
verlieren es jeden Abend. Wenn wir schlafen, ist die Welt fort. Wo sind wir
dann? Kommt die Welt immer wieder, Rudolf?»
Wir
stehen am Rande des Gartens und sehen durch das Gittertor in die Landschaft
draußen. Der frühe Abend liegt auf den reifenden Feldern, die sich zu beiden
Seiten der Kastanienallee bis zum Walde hinabziehen.
«Sie
kommt immer wieder», sage ich und füge vorsichtig hinzu: «Immer, Isabelle.»
«Und
wir? Wir auch?»
Wir?
denke ich. Wer weiß das? Jede Stunde gibt und nimmt und verändert. Aber ich
sage es nicht. Ich will in kein Gespräch geraten, das plötzlich in einen
Abgrund rutscht.
Von
draußen kommen die Anstaltsinsassen zurück, die auf den Äckern gearbeitet
haben. Sie kommen zurück wie müde Bauern, und auf ihren Schultern liegt das
erste Abendrot.
«Wir
auch», sage ich. «Immer, Isabelle. Nichts, was da ist, kann verlorengehen. Nie.»
«Glaubst
du das?»
«Es
bleibt uns doch nichts anderes übrig, als es zu glauben.»
Sie
dreht sich zu mir um. Sie ist außerordentlich schön an diesem frühen Abend mit
dem ersten klaren Gold des Herbstes in der Luft.
«Sind
wir sonst verloren?» flüstert sie.
Ich
starre sie an. «Das weiß ich nicht», sage ich schließlich. Verloren – was kann
das alles heißen! So vieles!
«Sind
wir sonst verloren, Rudolf?»
Ich
schweige unschlüssig. «Ja», sage ich dann. «Aber da erst beginnt das Leben,
Isabelle.»
«Welches?»
«Unser
eigenes. Da erst beginnt alles – der Mut, das große Mitleid, die
Menschlichkeit, die Liebe und der tragische Regenbogen der Schönheit. Da, wo
wir wissen, daß nichts bleibt.»
Ich
sehe in ihr vom untergehenden Licht bestrahltes Gesicht. Einen Augenblick steht
die Zeit still.
«Du
und ich, wir bleiben auch nicht?» fragt sie.
«Nein,
wir bleiben auch nicht», erwidere ich und sehe an ihr vorbei in die Landschaft
voll Blau und Rot und Ferne und Gold.
«Auch
nicht, wenn wir uns lieben?»
«Auch
nicht, wenn wir uns lieben», sage ich und füge zögernd und vorsichtig hinzu:
«Ich glaube, deshalb liebt man sich. Sonst könnte man sich vielleicht nicht
lieben. Lieben ist etwas weitergeben zu wollen, das man nicht halten kann.»
«Was?»
Ich
hebe die Schultern. «Dafür gibt es viele Namen. Unser Selbst vielleicht, um es
zu retten. Oder unser Herz. Sagen wir: Unser Herz. Oder unsere Sehnsucht. Unser
Herz.»
Die
Leute von den Feldern sind herangekommen. Die Wärter öffnen die Tore. Plötzlich
drängt sich seitlich von der Mauer, wo er versteckt hinter einem Baum gestanden
haben muß, jemand rasch an uns vorbei, schiebt sich durch die Feldarbeiter und
rennt hinaus. Einer der Wärter bemerkt ihn und läuft ziemlich gemächlich hinter
ihm her; der zweite bleibt ruhig stehen und läßt die anderen Patienten weiter
passieren. Dann schließt er das Tor ab. Unten sieht man den Ausbrecher laufen.
Er ist viel schneller als der Wärter, der ihn verfolgt. «Glauben Sie, daß Ihr
Kollege ihn in dem Tempo einholt?» frage ich den zweiten Wärter.
«Er
wird schon mit ihm zurückkommen.»
«Es
sieht nicht so aus.»
Der
Wärter hebt die Schultern. «Es ist Guido Timpe. Er versucht jeden Monat
mindestens einmal auszubrechen. Läuft immer bis zum Restaurant Forsthaus.
Trinkt dort ein paar Biere. Wir finden ihn jedesmal da. Er läuft nie weiter und
nie irgendwoanders hin. Just für die zwei, drei Biere. Er trinkt immer
Dunkles.»
Er
zwinkert mir zu. «Darum läuft mein Kollege nicht
Weitere Kostenlose Bücher