Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
Vom Netzwerk:
der Nächs­ten­lie­be.»
    Isa­bel­le
frös­telt. «Ich ge­he nicht mehr hin», sagt sie und deu­tet auf die Ka­pel­le. «Sie
sa­gen im­mer, man müs­se lei­den. Die schwar­zen Schwes­tern. Warum, Ru­dolf?»
    Ich
ant­wor­te nicht.
    «Wer
macht, daß wir lei­den müs­sen?» fragt sie und drängt sich ge­gen mich.
    «Gott»,
sa­ge ich bit­ter. «Wenn es ihn gibt. Gott, der uns al­le ge­schaf­fen hat.»
    «Und
wer be­straft Gott da­für?»
    «Was?»
    «Wer
be­straft Gott da­für, daß er uns lei­den macht? Hier bei den Men­schen kommt man
ins Ge­fäng­nis oder wird auf­ge­hängt, wenn man das tut. Wer hängt Gott auf?»
    «Dar­über
ha­be ich noch nicht nach­ge­dacht», sa­ge ich. «Ich wer­de das ein­mal den Vi­kar
Bo­den­diek fra­gen.»
    Wir
ge­hen durch die Al­lee zu­rück. Ein paar Glüh­würm­chen flie­gen durch das Dun­kel.
Isa­bel­le bleibt plötz­lich ste­hen.
    «Hast
du das ge­hört?» fragt sie.
    «Was?»
    «Die
Er­de. Sie hat einen Sprung ge­macht, wie ein Pferd. Als Kind hat­te ich Angst,
ich wür­de her­un­ter­fal­len, wenn ich schlie­fe. Ich woll­te fest­ge­bun­den wer­den in
mei­nem Bett. Kann man der Schwer­kraft trau­en?»
    «Ja.
Eben­so wie dem Tod.»
    «Ich
weiß es nicht. Bist du noch nie ge­flo­gen?»
    «In
ei­nem Flug­zeug?»
    «Flug­zeug»,
sagt Isa­bel­le mit leich­ter Ver­ach­tung. «Das kann je­der. Im Traum.»
    «Ja.
Aber kann das nicht auch je­der?»
    «Nein.»
    «Ich
glau­be, je­der Mensch träumt ein­mal, daß er fliegt. Es ist ei­ner der häu­figs­ten
Träu­me, die es gibt.»
    «Siehst
du!» sagt Isa­bel­le. «Und du traust der Schwer­kraft. Wenn sie nun ei­nes Ta­ges
auf­hört? Was dann? Dann flie­gen wir her­um wie Sei­fen­bla­sen! Wer ist dann
Kai­ser? Der, der am meis­ten Blei an die Fü­ße ge­bun­den hat, oder der mit den
längs­ten Ar­men? Und wie kommt man von ei­nem Baum her­un­ter?»
    «Das
weiß ich nicht. Aber selbst Blei hül­fe nicht. Es wä­re dann auch leicht wie
Luft.»
    Sie
ist plötz­lich ganz spie­le­risch. Der Mond scheint in ih­re Au­gen, als bren­ne
hin­ter ih­nen ein blei­ches Feu­er. Sie wirft das Haar zu­rück, das in dem kal­ten
Licht aus­sieht, als hät­te es kei­ne Far­be.
    «Du
siehst aus wie ei­ne He­xe», sa­ge ich. «Ei­ne jun­ge und ge­fähr­li­che He­xe!»
    Sie
lacht. «Ei­ne He­xe», flüs­tert sie. «Hast du es end­lich er­kannt? Wie lan­ge das
ge­dau­ert hat!»
    Mit
ei­nem Ruck reißt sie den blau­en wei­ten Rock auf, der um ih­re Hüf­ten schwingt,
läßt ihn fal­len und steigt her­aus. Sie trägt nichts als Schu­he und ei­ne kur­ze
wei­ße Blu­se, die sich öff­net. Schmal und weiß steht sie in der Dun­kel­heit, mehr
Kna­be als Frau, mit fah­lem Haar und fah­len Au­gen. «Komm», flüs­tert sie.
    Ich
se­he mich um. Ver­dammt, den­ke ich, wenn Bo­den­diek jetzt käme! Oder Wer­ni­cke
oder ei­ne der Schwes­tern, und ich är­ge­re mich, daß ich es den­ke. Isa­bel­le wür­de
es nie den­ken. Sie steht vor mir wie ein Luft­geist, der einen Kör­per an­ge­nom­men
hat, be­reit, weg­zu­flie­gen.
    «Du
mußt dich an­zie­hen», sa­ge ich.
    Sie
lacht. «Muß ich das, Ru­dolf?» fragt sie spöt­tisch und hat kei­ne Schwer­kraft,
ich aber ha­be al­le Schwer­kraft der Welt.
    Lang­sam
kommt sie nä­her. Sie greift nach mei­ner Kra­wat­te und zerrt sie los. Ih­re Lip­pen
sind oh­ne Far­be, grau­blau im Mond, ih­re Zäh­ne sind kalk­weiß, und selbst ih­re
Stim­me hat ih­re Far­be ver­lo­ren. «Nimm das weg!» flüs­tert sie und reißt mir den
Kra­gen und das Hemd auf. Ich füh­le ih­re Hän­de kühl auf mei­ner nack­ten Brust.
Sie sind nicht weich; sie sind schmal und hart und grei­fen mich fest an. Ein
Schau­er läuft über mei­ne Haut. Et­was, was ich nie in Isa­bel­le ver­mu­tet ha­be,
bricht plötz­lich aus ihr her­aus, ich spü­re es wie einen hef­ti­gen Wind und einen
Stoß, es kommt von weit her und hat sich in ihr zu­sam­men­ge­drängt, wie der
sanf­te Wind wei­ter Ebe­nen in ei­nem Eng­paß zu ei­nem jä­hen Sturm. Ich ver­su­che
ih­re Hän­de fest­zu­hal­ten und se­he mich um. Sie stößt mei­ne Hän­de bei­sei­te. Sie
lacht nicht mehr; in ihr ist auf ein­mal der töd­li­che Ernst der Krea­tur, für die
Lie­be über­flüs­si­ges Bei­werk ist, die nur ein Ziel kennt und der es nicht

Weitere Kostenlose Bücher