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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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blu­ti­gen Glie­dern ist es nicht. Zwei­tau­send
Jah­re, den­ke ich, zwei­tau­send Jah­re, und im­mer ist das Le­ben mit Lich­tern,
Brunst­schrei­en, Tod und Ver­zückung um die Stein­bau­ten ge­wir­belt, in de­nen die
Ab­bil­der des blas­sen Ster­ben­den auf­ge­rich­tet wa­ren, düs­ter, blu­tig, von
Mil­lio­nen von Bo­den­dieks um­ge­ben – und blei­far­ben ist der Schat­ten der Kir­chen
über den Län­dern ge­wach­sen und hat die Le­bens­freu­de er­dros­selt, er hat aus
Eros, dem hei­te­ren, ei­ne heim­li­che, schmut­zi­ge, sünd­haf­te Bett­ge­schich­te
ge­macht und nichts ver­ge­ben, trotz al­ler Pre­dig­ten über Lie­be und Ver­ge­bung –
denn wirk­lich ver­ge­ben heißt, den an­de­ren zu be­stä­ti­gen, wie er ist, nicht aber
Bu­ße zu ver­lan­gen und Ge­folg­schaft und Un­ter­wer­fung, be­vor das Ego te ab­sol­vo aus­ge­spro­chen
wird.
    Isa­bel­le hat drau­ßen
ge­war­tet. Wer­ni­cke hat ihr er­laubt, daß sie abends im Gar­ten sein darf, wenn
je­mand bei ihr ist. «Was hast du drin­nen ge­tan?» fragt sie feind­lich.
«Mit­ge­hol­fen, al­les zu­zu­de­cken?»
    «Ich
ha­be Mu­sik ge­macht.»
    «Mu­sik
deckt auch zu. Mehr als Wor­te.»
    «Es
gibt auch Mu­sik, die auf­rei­ßt», sa­ge ich. «Mu­sik von Trom­meln und Trom­pe­ten.
Sie hat viel Un­glück in die Welt ge­bracht.»
    Isa­bel­le
dreht sich um. «Und dein Herz? Ist es nicht auch ei­ne Trom­mel?»
    Ja,
den­ke ich, ei­ne lang­sa­me und lei­se, aber es wird trotz­dem ge­nug Lärm ma­chen und
ge­nug Un­glück brin­gen, und viel­leicht wer­de auch ich dar­über den sü­ßen,
an­ony­men Ruf des Le­bens über­hö­ren, der de­nen ge­blie­ben ist, die kein pomp­haf­tes
Selbst dem Le­ben ge­gen­über­set­zen und kei­ne Er­klä­run­gen for­dern, als wä­ren sie
recht­ha­be­ri­sche Gläu­bi­ger und nicht flüch­ti­ge Wan­de­rer oh­ne Spur.
    «Füh­le
mei­nes», sagt Isa­bel­le und nimmt mei­ne Hand und legt sie auf ih­re dün­ne Blu­se,
un­ter die Brust. «Fühlst du es?»
    «Ja,
Isa­bel­le.»
    Ich
zie­he mei­ne Hand weg, aber es ist, als hät­te ich sie nicht weg­ge­zo­gen. Wir
ge­hen um ei­ne klei­ne Fon­tä­ne her­um, die im Abend plät­schert, als sei sie
ver­ges­sen wor­den. Isa­bel­le taucht ih­re Hän­de in das Be­cken und wirft das Was­ser
hoch. «Wo blei­ben die Träu­me am Tag, Ru­dolf?» fragt sie.
    Ich
se­he ihr zu. «Viel­leicht schla­fen sie», sa­ge ich vor­sich­tig, denn ich weiß,
wo­hin sol­che Fra­gen bei ihr füh­ren kön­nen. Sie taucht ih­re Ar­me in das Be­cken
und läßt sie lie­gen. Sie schim­mern sil­bern, mit klei­nen Luft­per­len be­setzt,
un­ter dem Was­ser, als wä­ren sie aus ei­nem frem­den Me­tall. «Wie kön­nen sie
schla­fen?» sagt sie. «Sie sind doch le­ben­di­ger Schlaf. Man sieht sie nur, wenn
man schläft. Aber wo blei­ben sie am Ta­ge?»
    «Viel­leicht
hän­gen sie wie Fle­der­mäu­se in großen un­ter­ir­di­schen Höh­len – oder wie jun­ge
Eu­len in tie­fen Baum­lö­chern und war­ten auf die Nacht.»
    «Und
wenn kei­ne Nacht kommt?»
    «Nacht
kommt im­mer, Isa­bel­le.»
    «Bist
du si­cher?»
    Ich
se­he sie an. «Du fragst wie ein Kind», sa­ge ich.
    «Wie
fra­gen Kin­der?»
    «So
wie du. Sie fra­gen im­mer wei­ter. Und sie kom­men bald zu ei­nem Punkt, wo die
Er­wach­se­nen kei­ne Ant­wort mehr wis­sen und ver­le­gen oder är­ger­lich wer­den.»
    «Warum
wer­den sie är­ger­lich?»
    «Weil
sie plötz­lich mer­ken, daß et­was mit ih­nen ent­setz­lich falsch ist und weil sie
nicht dar­an er­in­nert wer­den wol­len.»
    «Ist
bei dir auch et­was falsch?»
    «Bei­na­he
al­les, Isa­bel­le.»
    «Was
ist falsch?»
    «Das
weiß ich nicht. Dar­in liegt es ge­ra­de. Wenn man es wüß­te, wä­re es schon nicht
mehr so falsch. Man fühlt es nur.»
    «Ach,
Ru­dolf», sagt Isa­bel­le, und ih­re Stim­me ist plötz­lich tief und weich. «Nichts
ist falsch.»
    «Nein?»
    «Na­tür­lich
nicht. Falsch und Rich­tig weiß nur Gott. Wenn er aber Gott ist, gibt es kein
Falsch und Rich­tig. Al­les ist Gott. Falsch wä­re es nur, wenn es au­ßer ihm wä­re.
Wenn aber et­was au­ßer oder ge­gen ihn sein könn­te, wä­re er nur ein be­schränk­ter
Gott. Und ein be­schränk­ter Gott ist kein Gott. Al­so ist al­les

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