E.M. Remarque
der Zwecklosigkeit des Daseins und greift zum Schnaps. Wir haben
ihn schon öfter morgens besoffen auf einem Bett von Hobelspänen schnarchend in
seinem größten Sarg gefunden, mit dem er vor vier Jahren elend hereingefallen
ist. Der Sarg war für den Riesen vom Zirkus Bleichfeld angefertigt worden, der
plötzlich bei einem Gastspiel in Werdenbrück nach einer Mahlzeit von Limburger
Käse, harten Eiern, Mettwurst, Kommißbrot und Schnaps gestorben war – scheinbar
gestorben, denn während Wilke die Nacht durch, allen Gespenstern zum Trotz, an
dem Sarg für den Riesen schuftete, hatte der sich plötzlich mit einem Seufzer
vom Totenbett erhoben und anstatt, wie es anständig gewesen wäre, Wilke auf der
Stelle zu verständigen, eine halbe Flasche Korn ausgesoffen, die noch
übriggeblieben war, und sich schlafen gelegt. Am nächsten Morgen behauptete er,
kein Geld zu haben und außerdem keinen Sarg für sich bestellt zu haben, ein
Einwand, gegen den nichts zu machen war. Der Zirkus zog weiter, und da niemand
den Sarg bestellt haben wollte, blieb Wilke damit sitzen und bekam dadurch für
einige Zeit eine etwas bittere Weltanschauung. Besonders ärgerlich war er auf
den jungen Arzt Wüllmann, den er für alles verantwortlich machte. Wüllmann
hatte zwei Jahre als Feldunterarzt gedient und war dadurch abenteuerlich
geworden. Er hatte so viele halbtote und dreivierteltote Muschkoten im Lazarett
zur Behandlung gehabt, ohne daß ihn irgend jemand für ihren Tod oder ihre
schiefgeheilten Knochen verantwortlich machte, daß er zum Schluß einen Haufen
interessante Erfahrungen sammeln konnte. Deshalb war er nachts noch einmal zu
dem Riesen geschlichen und hatte ihm irgendeine Spritze verabreicht – er hatte
öfters im Lazarett gesehen, daß Tote wieder erwacht waren –, und der Riese war
auch prompt wieder ins Leben zurückgewandert. Wilke hatte seitdem, ohne daß er
es wollte, eine gewisse Abneigung gegen Wüllmann, die dieser später auch nicht
dadurch aus der Welt schaffen konnte, daß er sich wie ein vernünftiger Arzt
benahm und die Hinterbliebenen seiner Fälle zu Wilke schickte. Für Wilke war
der Sarg des Riesen eine ständige Mahnung, nicht zu leichtgläubig zu sein, und
ich glaube, das war auch der Grund, warum er mit der Zwillingsmutter in ihre
Wohnung gegangen ist – er wollte sich selbst davon überzeugen, daß die Toten
inzwischen nicht schon wieder auf Holzpferden herumritten. Es wäre für Wilkes
Selbstachtung zuviel gewesen, neben dem unverkäuflichen Riesensarg auch noch
mit dem quadratischen Zwillingssarg hängenzubleiben und so eine Art Barnum in
der Zunft der Sargtischler darzustellen. Am meisten hatte ihn bei der Sache mit
Wüllmann geärgert, daß er keine Gelegenheit gehabt hatte, mit dem Riesen ein
längeres Privatgespräch zu führen. Er hätte ihm alles vergeben, wenn er mit ihm
ein Interview über das Jenseits hätte haben können. Der Riese war schließlich
einige Stunden lang so gut wie tot gewesen, und Wilke, als
Amateurwissenschaftler und Gespensterfürchter, hätte viel darum gegeben,
Auskunft über das Dasein auf der anderen Seite zu erhalten.
Kurt
Bach ist für all das nicht zu haben. Der Sohn der Natur ist immer noch Mitglied
der Freireligiösen Gemeinde Berlin, deren Wahlspruch ist: «Macht hier das Leben
gut und schön, kein Jenseits gibt’s, kein Wiedersehn.» Es ist sonderbar, daß er
trotzdem ein Bildhauer fürs Jenseits, mit Engeln, sterbenden Löwen und Adlern
geworden ist, aber das war ja nicht immer seine Absicht. Als er jünger war,
hielt er sich für eine Art Neffen von Michelangelo.
Der
Kanarienvogel singt. Das Licht hält ihn wach. Wilkes Hobel macht ein
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