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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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Un­ent­schlos­sen­heit. Der Mund wird klein und schmal, und das Kinn
tritt her­vor. Sie hat jetzt et­was von ei­ner dün­nen, pu­ri­ta­ni­schen, bö­sen
Jung­fer. «Laß nur!» sagt sie. Auch ih­re Stim­me ist ver­än­dert.
    «Schön,
las­sen wir es. Ich brau­che es nicht zu wis­sen.»
    Ich
war­te. Ih­re Au­gen glit­zern flach, wie nas­ser Schie­fer im letz­ten Licht. Al­les
Grau des Abends scheint sich in ih­nen zu sam­meln; sie sieht mich über­le­gen und
spöt­tisch an. «Das möch­test du wohl, was? Vor­bei­ge­lun­gen, Spi­on!»
    Ich
wer­de oh­ne Grund wü­tend, ob­schon ich weiß, daß sie krank ist und daß die­se
Be­wußt­seins­brü­che blitz­ar­tig kom­men. «Geh zum Teu­fel», sa­ge ich är­ger­lich. «Was
geht mich das al­les an!»
    Ich
se­he, daß ihr Ge­sicht sich wie­der ver­än­dert; aber ich ge­he rasch hin­aus, voll
un­be­greif­li­chen Auf­ruhrs.
    «Und?»
fragt
Wer­ni­cke.
    «Das
ist al­les. Warum ha­ben Sie mich zu ihr hin­ein­ge­schickt? Es hat nichts
ge­bes­sert. Ich tau­ge nicht zum Kran­ken­pfle­ger. Sie se­hen ja – als ich
vor­sich­tig mit ihr hät­te re­den sol­len, ha­be ich sie an­ge­schri­en und bin
weg­ge­lau­fen.»
    «Es
war bes­ser, als Sie ah­nen.» Wer­ni­cke holt hin­ter sei­nen Bü­chern ei­ne Fla­sche
und zwei Glä­ser her­vor und schenkt ein. «Ko­gnak», sagt er. «Ich möch­te nur eins
wis­sen – wo­her sie spürt, daß ih­re Mut­ter wie­der hier ist.»
    «Ih­re
Mut­ter ist hier?»
    Wer­ni­cke
nickt. «Seit vor­ges­tern. Sie hat sie noch nicht ge­se­hen. Auch nicht vom Fens­ter
aus.»
    «Warum
soll­te sie nicht?»
    «Sie
müß­te da­zu weit aus dem Fens­ter hän­gen und Au­gen wie ein Sche­ren­fern­rohr
ha­ben.» Wer­ni­cke be­trach­tet die Far­be sei­nes Ko­gnaks. «Aber manch­mal spü­ren
Kran­ke die­ser Art so et­was. Viel­leicht hat sie es auch er­ra­ten. Ich ha­be sie in
die Rich­tung ge­trie­ben.»
    «Wo­zu?»
sa­ge ich. «Sie ist krän­ker, als ich sie je ge­se­hen ha­be.»
    «Nein»,
er­wi­dert Wer­ni­cke.
    Ich
stel­le mein Glas zu­rück und bli­cke auf die di­cken Bü­cher sei­ner Bi­blio­thek.
«Sie ist so elend, daß ei­nem der Ma­gen hoch­kommt.»
    «Elend
schon; aber nicht krän­ker.»
    «Sie
hät­ten sie in Ru­he las­sen sol­len – so, wie sie im Som­mer war. Sie war
glück­lich. Jetzt – das ist ent­setz­lich.»
    «Ja,
es ist ent­setz­lich», sagt We­mi­cke. «Es ist fast so, als ob all das wirk­lich
ge­schä­he, was sie sich ein­bil­det.»
    «Sie
sitzt da wie in ei­ner Fol­ter­kam­mer.»
    Wer­ni­cke
nickt. «Man glaubt drau­ßen im­mer, so et­was exis­tie­re nicht mehr. Es exis­tiert
noch. Hier. Je­der hat sei­ne ei­ge­ne Fol­ter­kam­mer im Schä­del.»
    «Nicht
nur hier.»
    «Nicht
nur hier», gibt Wer­ni­cke be­reit­wil­lig zu und nimmt einen Schluck Ko­gnak. «Aber
vie­le hier ha­ben sie. Wol­len Sie sich über­zeu­gen? Neh­men Sie einen wei­ßen
Kit­tel. Es ist bald Zeit für den Abendrund­gang.»
    «Nein»,
sa­ge ich. «Ich er­in­ne­re mich an das letz­te­mal.»
    «Das
war der Krieg, der im­mer noch hier tobt. Wol­len Sie ei­ne an­de­re Ab­tei­lung
se­hen?»
    «Nein.
Ich er­in­ne­re mich auch dar­an.»
    «Nicht
an al­le, Sie ha­ben nur ei­ni­ge ge­se­hen.»
    «Es
wa­ren ge­nug.»
    Ich
er­in­ne­re mich an die Ge­schöp­fe, die Wo­chen hin­durch in ver­krampf­ten Hal­tun­gen
er­starrt in Ecken ste­hen oder ru­he­los ge­gen die Wän­de ren­nen, über die Bet­ten
klet­tern und mit wei­ßen Au­gen in Zwangs­ja­cken rö­cheln und schrei­en. Die
laut­lo­sen Ge­wit­ter des Cha­os pras­seln auf sie her­nie­der, und Wurm, Klaue,
Schup­pe, die schlei­mi­ge, fuß­lo­se, sich win­den­de Vor­exis­tenz, das Krie­chen vor
dem Den­ken, daß Aas-Da­sein grei­fen von un­ten her­auf nach ih­ren Ge­där­men und
Ho­den und Rücken­wir­beln, um sie her­ab­zu­zie­hen in die graue Zer­set­zung des
An­fangs, zu­rück zu Schup­pen­lei­bern und au­gen­lo­sem Wür­gen – schrei­end wie
pa­nik­be­fal­le­ne Af­fen ret­ten sie sich auf die letz­ten kah­len Äs­te ih­res Ge­hirns,
schnat­ternd, ge­bannt von dem hö­her­stei­gen­den Ge­schlin­ge, in der letz­ten
grau­en­haf­ten Furcht, nicht des Ge­hirns, schlim­mer, der der Zel­len vor

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