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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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Dra­ma des Abends, das nie
ein Dra­ma war und nur ei­nes ist, weil wir wis­sen, daß es Ver­ge­hen heißt. Erst
seit wir wis­sen, daß wir ster­ben müs­sen, und weil wir es wis­sen, wur­de Idyll zu
Dra­ma, Kreis zur Lan­ze, Wer­den zu Ver­ge­hen und Schrei zu Furcht und Flucht zu
Ur­teil.
    Ich
hal­te sie fest in den Ar­men. Sie zit­tert und sieht mich an und drückt sich an
mich, und ich hal­te sie, wir hal­ten uns – zwei Frem­de, die nichts von­ein­an­der
wis­sen und sich hal­ten, weil sie sich miß­ver­ste­hen und sich für et­was an­de­res
hal­ten, als sie sind, und die doch flüch­ti­gen Trost aus die­sem Miß­ver­ständ­nis
schöp­fen, ei­nem dop­pel­ten und drei­fa­chen und end­lo­sen Miß­ver­ständ­nis, und doch
dem ein­zi­gen, das wie ein Re­gen­bo­gen ei­ne Brücke vor­gau­kelt, wo nie­mals ei­ne
sein kann, ein Re­flex zwi­schen zwei Spie­geln, wei­ter­ge­wor­fen in ei­ne im­mer
fer­ne­re Lee­re. «Warum liebst du mich nicht?» flüs­tert Isa­bel­le.
    «Ich
lie­be dich. Al­les in mir liebt dich.»
    «Nicht
ge­nug. Die an­de­ren sind im­mer noch da. Wenn es ge­nug wä­re, wür­dest du sie
tö­ten.»
    Ich
hal­te sie in den Ar­men und se­he über sie hin­weg in den Park, wo die Schat­ten
wie ame­thys­te­ne Wel­len von der Ebe­ne und von den Al­leen her­auf­we­hen. Al­les in
mir ist scharf und klar, aber gleich­zei­tig ist mir, als stän­de ich auf ei­ner
schma­len Platt­form sehr hoch über ei­ner mur­meln­den Tie­fe. «Du wür­dest es nicht
er­tra­gen, daß ich au­ßer dir leb­te», flüs­tert Isa­bel­le.
    Ich
weiß nichts zu ant­wor­ten. Im­mer rührt mich et­was an, wenn sie sol­che Sät­ze sagt
– als wä­re ei­ne tiefe­re Wahr­heit da­hin­ter, als ich er­ken­nen kann – als käme sie
vom Jen­seits der Din­ge, von da, wo es kei­ne Na­men gibt. «Fühlst du, wie es kalt
wird?» fragt sie an mei­ner Schul­ter. «Je­de Nacht stirbt al­les. Das Herz auch.
Sie zer­sä­gen es.»
    «Nichts
stirbt, Isa­bel­le. Nie.»
    «Doch!
Das stei­ner­ne Ge­sicht – es zer­springt in Stücke. Mor­gen ist es wie­der da. Ach,
es ist kein Ge­sicht! Wie wir lü­gen, mit un­se­ren ar­men Ge­sich­tern! Du lügst auch
...»
    «Ja
...» sa­ge ich. «Aber ich will es nicht.»
    «Du
mußt das Ge­sicht her­un­ter­scheu­ern, bis nichts mehr da ist. Nur glat­te Haut.
Nichts mehr! Aber dann ist es im­mer noch da. Es wächst nach. Wenn al­les
still­stän­de, hät­te man kei­ne Schmer­zen. Warum wol­len sie mich los­sä­gen von
al­lem? Warum will sie mich zu­rück? Ich ver­ra­te doch nichts!»
    «Was
könn­test du ver­ra­ten?»
    «Das,
was blüht. Es ist voll Schlamm. Es kommt aus den Kanä­len.»
    Sie
zit­tert wie­der und drückt sich an mich. «Sie ha­ben mei­ne Au­gen fest­ge­klebt. Mit
Leim, und dann ha­ben sie Na­deln hin­durch­ge­steckt. Aber ich kann trotz­dem nicht
weg­se­hen.»
    «Weg­se­hen
wo­von?»
    Sie
stößt mich von sich. «Sie ha­ben dich auch aus­ge­schickt! Ich ver­ra­te nichts! Du
bist ein Spi­on. Sie ha­ben dich ge­kauft! Wenn ich es sa­ge, tö­ten sie mich.»
    «Ich
bin kein Spi­on. Warum soll­ten sie dich tö­ten, wenn du es mir sagst? Sie könn­ten
das doch oh­ne das viel bes­ser. Wenn ich es weiß, müß­ten sie mich ja auch tö­ten.
Es wüß­te dann ei­ner mehr.»
    Es
dringt durch zu ihr. Sie sieht mich wie­der an. Sie über­legt. Ich hal­te mich so
still, daß ich kaum at­me. Ich spü­re, daß wir vor ei­ner Tür ste­hen und daß
da­hin­ter die Frei­heit sein könn­te. Das, was Wer­ni­cke Frei­heit nennt. Die
Rück­kehr aus dem Irr­gar­ten in nor­ma­le Stra­ßen, Häu­ser und Be­zie­hun­gen. Ich weiß
nicht, ob es so­viel bes­ser sein wird, aber dar­über kann ich nicht nach­den­ken,
wenn ich die­se ge­quäl­te Krea­tur vor mir se­he. «Wenn du es mir er­klärst, wer­den
sie dich in Ru­he las­sen», sa­ge ich. «Und wenn sie dich nicht in Ru­he las­sen,
wer­de ich Hil­fe ho­len. Von der Po­li­zei, von Zei­tun­gen. Sie wer­den Angst
be­kom­men. Und du brauchst dann kei­ne mehr zu ha­ben.»
    Sie
preßt die Hän­de zu­sam­men. «Es ist nicht das al­lein», bringt sie schließ­lich
her­vor.
    «Was
ist es noch?»
    Ihr
Ge­sicht wird in ei­ner Se­kun­de hart und ver­schlos­sen. Wie weg­ge­wischt ist die
Qual und die

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