E.M. Remarque
«Sonette kriegen keine Lues. Aber du
kannst die Stimmung ausnutzen. Wirf das Steuer herum! Wenn du nicht dafür
schreiben kannst, schreibe dagegen! Anstatt einer Hymne auf das Weib in
Scharlach und Purpur eine ätzende Klage. Eiter träuft aus den Sternen, in
Geschwüren liegt Hiob, anscheinend der erste Syphilitiker, auf den Scherben des
Weltalls, das Janusgesicht der Liebe, süßes Lächeln auf der einen, eine
zerfressene Nase auf der anderen Seite ...»
Ich
sehe, daß Hungermann wieder schreibt. «Hast du das auch deiner Frau vor einer
Woche erzählt?» frage ich.
Er
nickt strahlend.
«Weshalb
schreibst du es dann auf?»
«Weil
ich es wieder vergessen hatte. Kleinere Einfälle vergesse ich oft.»
«Ihr
habt es leicht, euch über mich lustig zu machen», sagt Bambuss gekränkt. «Ich
kann doch gar nicht gegen etwas schreiben. Ich bin Hymniker.»
«Schreib
eine Hymne dagegen.»
«Hymnen
kann man nur auf etwas schreiben», belehrt mich Otto. «Nicht dagegen.»
«Dann
schreib Hymnen auf die Tugend, die Reinheit, das mönchische Leben, die
Einsamkeit, die Versenkung in das Nächste und Fernste, was es gibt: das eigene
Selbst.»
Otto
horcht einen Augenblick mit schrägem Kopf wie ein Jagdhund.« Hab‘ ich schon»,
sagt er dann niedergeschlagen. «Es ist auch nicht ganz meine Art.»
«Zum
Teufel mit deiner Art! Mach nicht so viele Ansprüche!»
Ich
stehe auf und gehe in den Nebenraum. Valentin Busch sitzt dort. «Komm», sagt
er. «Trink mit mir eine Flasche Johannisberger. Das wird Eduard ärgern.»
«Ich
will heute keinen Menschen ärgern», erwidere ich.
Als
ich auf die Straße komme, steht Otto Bambuss schon da und starrt schmerzlich
auf die Gipswalküren, die den Eingang des «Walhalla» zieren. «So etwas», sagt
er ziellos.
«Weine
nicht», erkläre ich, um ihn mir vom Halse zu schaffen. «Du gehörst offenbar zu
den Frühvollendeten, Kleist, Bürger, Rimbaud, Büchner – den schönsten Gestalten
im Dichterhimmel –, nimm es dir also nicht zu Herzen.»
«Aber
die sind doch auch früh gestorben!»
«Du
kannst das auch noch, wenn du willst. Rimbaud hat übrigens noch viele Jahre
gelebt, nachdem er aufhörte zu schreiben. Als Abenteurer in Abessinien. Wie
wäre das?»
Otto
sieht mich an wie ein Reh mit drei Beinen. Dann starrt er wieder auf die dicken
Hintern und Brüste der Gipswalküren. «Hör zu», sage ich ungeduldig. «Schreib
doch einen Zyklus: ,Die Versuchungen des heiligen Antonius! Da hast du beides,
Lust und Entsagung, und noch einen Haufen nebenbei.»
Ottos
Gesicht belebt sich. Gleich darauf wird es konzentriert, soweit das bei einem
Astralschaf mit sinnlichen Ambitionen möglich ist. Die deutsche Literatur
scheint für den Augenblick gerettet zu sein, denn ich bin ihm bereits bedeutend
gleichgültiger. Abwesend winkt er mir zu und strebt die Straße hinab, dem
heimatlichen Schreibtisch zu. Neidisch sehe ich ihm nach.
Das
Büro liegt in schwarzem Frieden. Ich knipse das Licht an und finde einen
Zettel: «Riesenfeld abgereist. Du bist also heute abend dienstfrei. Benütze die
Zeit zum Knöpfeputzen, Gehirnappell, Nägelschneiden und Gebet für Kaiser und
Reich, gez. Kroll, Feldwebel und Mensch. PS.: Wer schläft, sündigt auch.»
Ich
gehe hinauf zu meiner Bude. Das Klavier bleckt mich mit weißen Zähnen an. Kalt
starren die Bücher der Toten von den Wänden. Ich werfe eine Garbe von
Septimen-Akkorden über die Straße. Lisas Fenster öffnet sich. Sie steht vor dem
warmen Licht in einem Frisiermantel, der offen hängt, und hält ein Wagenrad von
einem Blumenstrauß hoch. «Von Riesenfeld», krächzt sie. «Was für ein Idiot!
Kannst du das Gemüse brauchen?»
Ich
schüttle den Kopf. Isabelle würde glauben, ihre Feinde beabsichtigen damit
irgend etwas Niederträchtiges, und Gerda habe ich so
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