E.M. Remarque
eine
verdammt billige Folgerung ist, und überdies ist sie noch falsch – aber ich bin
müde, mich selbst dauernd bei dramatisierten Banalitäten zu erwischen. «Also,
was ist los?» frage ich.
Otto
Bambuss sieht mich an wie eine Eule, die mit Buttermilch gefüttert ist. «Ich
war dort», sagt er vorwurfsvoll. «Noch einmal. Zuerst jagt ihr einen hin, und
dann wollt ihr nichts mehr davon wissen!»
«Das
ist immer so im Leben. Wo warst du?»
«In
der Bahnstraße. Im Bordell.»
«Was
ist daran Neues?» frage ich, ohne recht hinzuhören.
«Wir
waren alle zusammen dort, wir haben für dich bezahlt, und du bist ausgerissen.
Sollen wir dir dafür ein Standbild setzen?»
«Ich
war noch einmal dort», sagt Otto. «Allein. Hör doch endlich einmal zu!»
«Wann?»
«Nach
dem Abend in der Roten Mühle.»
«Na,
und?» frage ich lustlos. «Bist du wieder vor den Tatsachen des Lebens
geflüchtet?»
«Nein»,
erklärt Otto. «Dieses Mal nicht.»
«Alle
Achtung! War es das Eiserne Pferd?»
Bambuss
errötet. «Das ist doch egal.»
«Gut»,
sage ich. «Wozu redest du denn darüber? Es ist keine einzigartige Erfahrung.
Ziemlich viele Leute in der Welt schlafen mit Frauen.»
«Du
verstehst mich nicht. Es sind die Folgen.»
«Was
für Folgen? Ich bin überzeugt, daß das Eiserne Pferd nicht krank ist. Man
bildet sich so etwas immer leicht ein, besonders im Anfang.»
Otto
macht ein gequältes Gesicht. «So meine ich das nicht! Du kannst dir doch
denken, weshalb ich es getan habe. Es ging alles ganz gut mit meinen beiden
Zyklen, besonders mit dem ,Weib in Scharlach‘, aber ich dachte, ich brauchte
noch mehr Inspiration. Ich wollte den Zyklus beenden, bevor ich aufs Dorf
zurück muß. Deshalb ging ich noch einmal in die Bahnstraße. Dieses Mal richtig.
Und stell dir vor, seitdem: nichts! Nicht eine Zeile. Es ist wie abgeschnitten!
Das Gegenteil sollte doch der Fall sein.»
Ich
lache, obschon mir nicht danach zumute ist. «Das ist aber verdammtes
Künstlerpech!»
«Du
kannst gut lachen», sagt Bambuss aufgeregt. «Aber ich sitze da! Elf Sonette
tadellos fertig, und beim zwölften dieses Unglück! Es geht einfach nicht mehr!
Die Phantasie setzt aus! Schluß! Fertig!»
«Es
ist der Fluch der Erfüllung», sagt Hungermann, der herangekommen ist und
anscheinend die Sache schon kennt. «Sie läßt nichts übrig. Ein hungriger Mann
träumt vom Fressen. Einem satten ist es zuwider.»
«Er
wird wieder hungrig werden, und die Träume werden wiederkommen», erwidere ich.
«Bei
dir; nicht bei Otto», erklät Hungermann sehr zufrieden.
«Du
bist oberflächlich und normal, Otto ist tief. Er hat einen Komplex durch einen
anderen ersetzt. Lach nicht – es ist vielleicht sein Ende als Schriftsteller.
Es ist, könnte man sagen, ein Begräbnis im Freudenhaus.»
«Ich
bin leer», sagt Otto verloren. «So leer wie noch nie. Ich habe mich ruiniert.
Wo sind meine Träume? Erfüllung ist der Feind der Sehnsucht. Ich hätte das
wissen sollen!»
«Schreib
was darüber», sage ich.
«Keine
schlechte Idee!» Hungermann zieht sein Notizbuch hervor. «Ich hatte sie
übrigens zuerst. Es ist auch nichts für Otto; sein Stil ist dazu nicht hart
genug.»
«Er
kann es als Elegie schreiben. Oder als Lament. Kosmische Trauer, Sterne tropfen
wie goldene Tränen, Gott selbst schluchzt, weil er die Welt so verpfuscht hat,
Herbstwind harft ein Requiem dazu ...»
Hungermann
schreibt eifrig. «Welch ein Zufall», sagt er zwischendurch. «Genau dasselbe mit
fast denselben Worten habe ich vor einer Woche gesagt. Meine Frau ist Zeuge.»
Otto
hat leicht die Ohren gespitzt. «Dazu kommt noch die Angst, daß ich mir was
geholt habe», sagt er. «Wie lange dauert es, bis man es erkennen kann?»
«Bei
Tripper drei Tage, bei Lues vier Wochen», erwidert der Ehemann Hungermann prompt.
«Du
wirst dir nichts geholt haben», sage ich.
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