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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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Ko­ners­mann
die Stra­ße kreu­zen. Sie glaubt wahr­schein­lich, daß Brüg­ge­mann sich ver­steckt
ha­be, und leuch­tet un­sern Hof nach ihm ab. Vor mir am Fens­ter liegt im­mer noch
das al­te Re­gen­rohr, mit dem ich Knopf einst er­schreckt ha­be. Fast be­reue ich es
jetzt, aber dann er­bli­cke ich den wan­dern­den Licht­kreis auf dem Hof und kann
nicht wi­der­ste­hen. Vor­sich­tig beu­ge ich mich vor und hau­che mit tiefer Stim­me
hin­ein: «Wer stört mich hier?» und fü­ge einen Seuf­zer hin­zu. Die Wit­we
Ko­ners­mann steht bock­steif. Dann zit­tert der Licht­kreis fre­ne­tisch über Hof und
Denk­mä­ler. «Gott sei auch dei­ner See­le gnä­dig ...», hau­che ich. Ich hät­te gern in
Brüg­ge­manns Ton­art ge­re­det, be­herr­sche mich aber – auf das, was ich bis jetzt ge­sagt
ha­be, kann mich die Ko­ners­mann nicht ver­kla­gen, wenn sie raus­fin­det, was los
ist.
    Sie
fin­det es nicht her­aus. Sie schleicht an der Mau­er ent­lang zur Stra­ße und rast
zu ih­rer Haus­tür hin­über. Ich hö­re noch, daß sie einen Schluck­auf be­kommt, dann
ist al­les still.

XXI
    Ich ver­trei­be
vor­sich­tig den ehe­ma­li­gen Brief­trä­ger Roth, einen klei­nen Mann, des­sen
Amts­be­zirk wäh­rend des Krie­ges un­ser Stadt­teil ge­we­sen ist. Roth war ein
emp­find­sa­mer Mensch und nahm es sich sehr zu Her­zen, daß er da­mals so oft zum Un­glücks­bo­ten
wer­den muß­te. In all den Jah­ren des Frie­dens hat­te man ihm im­mer freu­dig
ent­ge­gen­ge­se­hen, wenn er Post brach­te; im Krie­ge aber wur­de er mehr und mehr
ei­ne Ge­stalt, die fast nur­mehr Furcht ein­flö­ßte. Er brach­te die
Ein­zie­hungs­be­feh­le der Ar­mee und die ge­fürch­te­ten amt­li­chen Ku­verts mit dem
In­halt: «Auf dem Fel­de der Eh­re ge­fal­len», und je län­ger der Krieg dau­er­te, um
so öf­ter brach­te er sie, und sein Kom­men weck­te Jam­mer, Flü­che und Trä­nen. Als
er dann ei­nes Ta­ges sich selbst ei­nes der ge­fürch­te­ten Ku­verts zu­stel­len muß­te
und ei­ne Wo­che spä­ter ein zwei­tes, da war es aus mit ihm. Er wur­de still und
auf ei­ne sanf­te Wei­se ver­rückt und muß­te von der Post­ver­wal­tung pen­sio­niert
wer­den. Da­mit war er, wie so vie­le an­de­re, zum lang­sa­men Hun­ger­to­de wäh­rend der
In­fla­ti­on ver­ur­teilt, da al­le Pen­sio­nen im­mer viel zu spät auf­ge­wer­tet wur­den.
Ein paar Be­kann­te nah­men sich des ein­sa­men al­ten Man­nes an, und ein paar Jah­re
nach dem Krie­ge be­gann er wie­der aus­zu­ge­hen; doch sein Geist blieb ver­wirrt. Er
glaubt, im­mer noch Brief­trä­ger zu sein, und geht mit ei­ner al­ten Be­rufs­kap­pe
um­her, um den Leu­ten wei­ter Nach­rich­ten zu brin­gen; aber nach all den
Un­glücks­mel­dun­gen will er jetzt gu­te brin­gen. Er sam­melt al­te Brief­um­schlä­ge
und Post­kar­ten, wo er sie fin­det, und teilt sie dann aus als Nach­rich­ten aus
rus­si­schen Ge­fan­ge­nen­la­gern. Die Tot­ge­glaub­ten sei­en noch am Le­ben, er­klärt er
da­zu. Sie sei­en nicht ge­fal­len. Bald kämen sie heim.
    Ich
be­trach­te die Kar­te, die er mir die­ses Mal in die Hand ge­drückt hat. Es ist
ei­ne ur­al­te Druck­sa­che mit der Auf­for­de­rung, an der Preu­ßi­schen Kas­sen­lot­te­rie
teil­zu­neh­men; ein blöd­sin­ni­ger Witz heu­te, in der In­fla­ti­on. Roth muß sie
ir­gend­wo aus ei­nem Pa­pier­korb ge­fischt ha­ben; sie ist an einen Schläch­ter Sack
ge­rich­tet, der lan­ge tot ist. «Dan­ke viel­mals», sa­ge ich. «Das ist ei­ne rech­te
Freu­de!»
    Roth
nickt. «Sie kom­men jetzt bald heim aus Ruß­land, un­se­re Sol­da­ten.»
    «Ja,
na­tür­lich.»
    «Sie
kom­men al­le heim. Es dau­ert nur et­was lan­ge. Ruß­land ist so groß.»
    «Ih­re
Söh­ne auch, hof­fe ich.»
    Roths
ver­wa­sche­ne Au­gen be­le­ben sich. «Ja, mei­ne auch. Ich ha­be schon Nach­richt.»
    «Noch
ein­mal vie­len Dank», sa­ge ich.
    Roth
lä­chelt, oh­ne mich an­zu­se­hen, und geht wei­ter. Die Post­ver­wal­tung hat an­fangs
ver­sucht, ihn von sei­nen Gän­gen ab­zu­hal­ten, und so­gar sei­ne Ein­sper­rung
be­an­tragt; doch die Leu­te ha­ben sich wi­der­setzt, und man läßt ihn jetzt in
Ru­he. In ei­ner rechts­po­li­ti­schen Knei­pe sind al­ler­dings

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