E.M. Remarque
hier ist nämlich ein paarmal gekommen, um mich zu besuchen. Und dazu hat
sie ja wohl noch das Recht, oder nicht?»
Ich
mache es Watzek leicht. Er braucht nur ja oder nein zu antworten. Diesmal
braucht er sogar nur zu nicken.
«Gut»,
sage ich. «Und deshalb wird man nachts fast erstochen.»
Watzek
läßt sich mühsam auf die Treppenstufen nieder.
«Kamerad,
du hast mir auch schwer zugesetzt. Sieh mich an.»
«Das
Auge ist noch da.»
Watzek
betastet das trocknende schwarze Blut. «Sie werden bald im Zuchthaus sitzen,
wenn Sie so weitermachen», sage ich.
«Was
soll ich tun? Es ist meine Natur.»
«Erstechen
Sie sich selbst, wenn Sie schon erstechen müssen. Das erspart Ihnen eine Menge
Unannehmlichkeiten.»
«Manchmal
möchte man das schon! Kamerad, was soll ich machen? Ich bin verrückt nach der
Frau. Und sie kann mich nicht ausstehen.»
Ich
fühle mich plötzlich gerührt und müde und lasse mich neben Watzek auf der
Treppe nieder. «Es ist der Beruf», sagt er verzweifelt. «Sie haßt den Geruch,
Kamerad. Aber man riecht doch nach Blut, wenn man dauernd Pferde schlachtet.»
«Haben
Sie keinen zweiten Anzug? Einen, den Sie anziehen können, wenn Sie vom
Schlachthof weggehen?»
«Das
geht schlecht. Die anderen Schlächter würden denken, ich wolle besser sein als
sie. Der Geruch geht auch durch.
«Wie
ist es mit Baden?»
«Baden?»
fragt Watzek. «Wo? Im Städtischen Hallenbad? Das ist doch geschlossen, wenn ich
um sechs Uhr früh vom Schlachthof komme.»
«Gibt
es keine Duschen auf dem Schlachthof?»
Watzek
schüttelt den Kopf. «Nur Schläuche, um den Boden abzuspülen. Um darunter zu
gehen, ist es jetzt schon zu herbstlich.»
Ich
sehe das ein. Eiskaltes Wasser im November ist kein Vergnügen. Wenn Watzek Karl
Brill wäre, hätte er allerdings da keine Sorgen. Karl ist der Mann, der im
Winter das Eis des Flusses aufhackt und mit seinem Klub darin schwimmt. «Wie
ist es mit Toilettenwasser?» frage ich.
«Das
kann ich nicht versuchen. Die anderen würden mich für einen schwulen Bruder
halten. Sie kennen die Leute vom Schlachthof nicht!»
«Wie
wäre es, wenn Sie Ihren Beruf änderten?»
«Ich
kann nichts anderes», sagt Watzek trübe.
«Pferdehändler»,
schlage ich vor. «Das ist so ähnlich.»
Watzek
winkt ab. Wir sitzen eine Weile. Was geht mich das an? denke ich. Und wie kann
man ihm schon helfen? Lisa liebt die Rote Mühle. Es ist nicht sosehr Georg; es
ist der Drang über ihren Pferdeschlächter hinaus. «Sie müssen ein Kavalier
werden», sage ich schließlich. «Verdienen Sie gut?»
«Nicht
schlecht.»
«Dann
haben Sie Chancen. Alle zwei Tage ins Stadtbad, und einen neuen Anzug, den Sie
nur zu Hause anziehen. Ein paar Hemden, eine oder zwei Krawatten, können Sie
das schaffen?»
Watzek
grübelt darüber nach. «Sie meinen, das könnte helfen?»
Ich
denke an meinen Abend unter den prüfenden Augen von Frau Terhoven. «Man fühlt
sich besser in einem neuen Anzug», erwidere ich. «Ich habe das selbst
erfahren.»
«Tatsächlich?»
«Tatsächlich.»
Watzek
sieht mit Interesse auf. «Aber Sie sind doch tadellos in Schale.»
«Das
kommt darauf an. Für Sie. Für andere Leute nicht. Ich habe das gemerkt.»
«Wirklich?
Kürzlich?»
«Heute»,
sage ich.
Watzek
reißt das Maul auf. «So was! Da sind wir ja fast wie Brüder. Da staunt man!»
«Ich
habe mal irgendwo gelesen, alle Menschen wären Brüder. Da staunt man noch mehr,
wenn man sich die Welt ansieht.»
«Und
wir hätten uns fast erschlagen», sagt Watzek glücklich.
«Das
tun Brüder häufig.»
Watzek
erhebt sich. «Ich gehe morgen baden.» Er tastet nach dem linken Auge.
«Eigentlich wollte ich mir ja eine SA-Uniform bestellen. Die sind gerade
herausgekommen in München.»
«Ein
flotter, zweireihiger, dunkelgrauer Anzug ist besser. Ihre Uniform hat keine
Zukunft.»
«Vielen
Dank», sagt Watzek.
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