E.M. Remarque
«Aber vielleicht schaffe ich beides. Und nimm’s nicht übel,
Kamerad, daß ich dich abstechen wollte. Morgen schicke ich dir dafür auch eine
schöne Portion erstklassiger Pferdewurst.»
XXIV
«Der
Hahnrei», sagt
Georg, «gleicht einem eßbaren Haustier, sagen wir, einem Huhn oder einem
Kaninchen. Man verspeist es mit Genuß, solange man es nicht persönlich kennt.
Wächst man aber damit auf, spielt mit ihm, hegt und pflegt es – dann kann nur
ein Rohling sich einen Braten daraus machen. Man soll Hahnreis deshalb niemals
kennen.»
Ich
deute wortlos auf den Tisch. Dort liegt zwischen den Steinproben eine dicke rote
Wurst – Pferdewurst, ein Geschenk Watzeks, der sie morgens für mich
hinterlassen hat. «Ißt du sie?» fragte Georg.
«Selbstverständlich
esse ich sie. Ich habe schon schlechteres Pferdefleisch in Frankreich gegessen.
Aber weiche nicht aus! Dort liegt die Spende Watzeks. Ich bin in einem
Dilemma.»
«Nur
durch deine Lust an dramatischen Situationen.»
«Gut»,
sage ich. «Ich gebe das zu. Immerhin habe ich dir das Leben gerettet. Die alte
Konersmann wird weiter aufpassen. Ist dir die Sache das wert?»
Georg
holt sich eine Brasil aus dem Schrank. «Watzek hält dich jetzt für seinen
Bruder», erwidert er. «Ist das dein Gewissenskonflikt?»
«Nein.
Er ist außerdem noch Nazi – das löscht die einseitige Bruderschaft wieder aus.
Aber bleiben wir einmal dabei.»
«Watzek
ist auch mein Bruder», erklärt Georg und bläst den weißen Rauch der Brasil in
das Gesicht einer heiligen Katharina aus bemaltem Gips. «Lisa betrügt mich
nämlich ebenso wie ihn.»
«Erfindest
du das jetzt?» frage ich überrascht.
«Nicht
im geringsten. Woher soll sie sonst all ihre Kleider haben? Watzek, als
Ehemann, macht sich darüber keine Gedanken, wohl aber ich.»
«Du?»
«Sie
hat es mir selbst gestanden, ohne daß ich sie gefragt habe. Sie erklärte, sie
wollte nicht, daß irgendein Betrug zwischen uns bestehe. Sie meinte das ehrlich
– nicht witzig.»
«Und
du? Du betrügst sie mit den Fabelfiguren deiner Phantasie und deiner Magazine.»
«Selbstverständlich.
Was heißt überhaupt betrügen? Das Wort wird immer nur von denen gebraucht,
denen es gerade passiert. Seit wann hat Gefühl etwas mit Moral zu tun? Habe ich
dir dafür hier, unter den Sinnbildern der Vergänglichkeit, deine
Nachkriegserziehung gegeben? Betrügen – was für ein vulgäres Wort für die
feinste, letzte Unzufriedenheit, das Suchen nach mehr, immer mehr ...»
«Geschenkt!»
unterbreche ich ihn. «Der kurzbeinige, aber sehr kräftige Mann, den du soeben
draußen mit einer Beule am Kopf in die Tür einbiegen siehst, ist der frisch
gebadete Schlächter Watzek. Sein Haar ist geschnitten und noch naß von Bay Rum.
Er will seiner Frau gefallen. Rührt dich das nicht?»
«Natürlich;
aber er wird seiner Frau nie gefallen.»
«Warum
hat sie ihn denn geheiratet?»
«Sie
ist inzwischen sechs Jahre älter geworden. Geheiratet hat sie ihn im Kriege,
als sie sehr hungrig war und er viel Fleisch besorgen konnte.»
«Warum
geht sie nicht von ihm weg?»
«Weil
er droht, daß er dann die ganze Familie umbringen will.»
«Hat
sie dir das alles erzählt?»
«Ja.»
«Lieber
Gott», sage ich. «Und du glaubst das!»
Georg
bläst einen kunstvollen Rauchring. «Wenn du stolzer Zyniker einmal so alt bist
wie ich, wirst du hoffentlich auch herausgefunden haben, daß Glauben nicht nur
bequem ist, sondern oft sogar stimmt.»
«Gut»,
sage ich. «Wie ist es dabei aber mit dem Schlachtmesser Watzeks? Und mit den
Augen der Witwe Konersmann?»
«Betrüblich»,
erwidert er. «Und Watzek ist ein Idiot. Er hat augenblicklich ein besseres
Leben als je zuvor – weil Lisa ihn betrügt und ihn deshalb besser behandelt.
Warte ab, wie er schreien wird, wenn sie ihm wieder treu ist und
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