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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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sie, Ru­dolf.»
    «Sie
sind nicht mehr da. Du hast dich um­ge­dreht, und nun sind sie fort. Wie das Gras
nachts und die Din­ge.»
    Sie
lehn­te sich an mich. Ich bin plötz­lich nicht mehr Rolf für sie. Sie legt ihr
Ge­sicht an mei­ne Schul­ter. Sie braucht mir nichts zu er­klä­ren. Ich bin Ru­dolf
und muß es wis­sen. «Bist du si­cher?» fragt sie, und ich füh­le ihr Herz ne­ben
mei­ner Hand schla­gen.
    «Ganz
si­cher. Sie sind weg. Wie Dienst­bo­ten am Sonn­tag.»
    «Laß
es nicht zu, Ru­dolf ...»
    «Ich
las­se es nicht zu», sa­ge ich und weiß nicht recht, was sie meint. Doch das ist
auch nicht not­wen­dig. Sie be­ru­higt sich be­reits.
    Wir
ge­hen lang­sam zu­rück. Sie wird fast oh­ne Über­gang mü­de. Ei­ne Schwes­ter
mar­schiert auf fla­chen Ab­sät­zen her­an. «Sie müs­sen es­sen kom­men, Ma­de­moi­sel­le.»
    «Es­sen»,
sagt Isa­bel­le. «Wo­zu muß man im­mer es­sen, Ru­dolf?»
    «Da­mit
man nicht stirbt.»
    «Du
lügst schon wie­der», sagt sie mü­de, wie zu ei­nem hoff­nungs­lo­sen Kin­de.
    «Dies­mal
nicht. Dies­mal ist es wahr.»
    «So?
Es­sen Stei­ne auch?»
    «Le­ben
Stei­ne denn?»
    «Aber
na­tür­lich. Am stärks­ten von al­lem. So stark, daß sie ewig sind. Weißt du nicht,
was ein Kris­tall ist?»
    «Nur
aus der Phy­sik­stun­de. Das ist si­cher falsch.»
    «Rei­ne
Ek­sta­se», flüs­tert Isa­bel­le. «Nicht, wie das da ...» Sie macht ei­ne Be­we­gung nach
rück­wärts zu den Bee­ten.
    Die
Wär­te­rin nimmt ih­ren Arm. «Wo ha­ben Sie Ih­ren Hut, Ma­de­moi­sel­le?» fragt sie
nach ein paar Schrit­ten und sieht sich um. «War­ten Sie, ich ho­le ihn.»
    Sie
geht, um den Hut aus den Blu­men zu fi­schen. Hin­ter ihr kommt Isa­bel­le has­tig,
mit auf­ge­lös­tem Ge­sicht zu mir zu­rück.
    «Ver­laß
mich nicht, Ru­dolf!» flüs­tert sie.
    «Ich
ver­las­se dich nicht.»
    «Und
geh nicht weg! Ich muß jetzt fort. Sie ho­len mich! Aber geh nicht weg!»
    «Ich
ge­he nicht weg, Isa­bel­le.»
    Die
Wär­te­rin hat den Hut ge­ret­tet und mar­schiert nun auf ih­ren brei­ten Soh­len her­an
wie das Schick­sal. Isa­bel­le steht und sieht mich an. Es ist, als wä­re es ein
Ab­schied für im­mer. Es ist je­des­mal mit ihr so, als wä­re es ein Ab­schied für
im­mer. Wer weiß, wie sie wie­der­kommt und ob sie mich dann über­haupt noch
er­kennt?
    «Set­zen
Sie den Hut auf, Ma­de­moi­sel­le», sagt die Wär­te­rin.
    Isa­bel­le
nimmt ihn und läßt ihn schlaff von ih­rer Hand her­un­ter­hän­gen. Sie dreht sich um
und geht zum Pa­vil­lon zu­rück. Sie sieht nicht zu­rück.
    Es
be­gann da­mit, daß Ge­ne­viè­ve An­fang März plötz­lich im Park auf mich zu­kam und
an­fing, mit mir zu spre­chen, als kenn­ten wir uns schon lan­ge. Das war nichts
Un­ge­wöhn­li­ches – in der Ir­ren­an­stalt braucht man ein­an­der nicht vor­ge­stellt zu:
er­den; hier ist man jen­seits von For­ma­li­tä­ten, man spricht mit­ein­an­der, wenn
man will, und braucht kei­ne lan­gen Ein­lei­tun­gen. Man spricht auch so­fort über
das, was ei­nem in den Sinn kommt, und es stört nicht, wenn der an­de­re es nicht
ver­steht – das ist ne­ben­säch­lich. Man will nicht über­zeu­gen und nicht er­klä­ren:
man ist da und man spricht, und oft spre­chen zwei Leu­te über et­was ganz
Ver­schie­de­nes mit­ein­an­der und ver­ste­hen sich groß­ar­tig, weil sie nicht auf das
hö­ren, was der an­de­re sagt. Papst Gre­gor VII. zum Bei­spiel, ein klei­nes
Männ­chen mit Sä­bel­bei­nen, dis­ku­tiert nicht. Er braucht nie­mand da­von zu
über­zeu­gen, daß er Papst ist. Er ist es, und da­mit fer­tig, und er hat große
Sor­gen mit Hein­rich dem Lö­wen, Ca­nos­sa ist nicht fern, und dar­über spricht er
manch­mal. Es stört ihn nicht, daß sein Ge­sprächs­part­ner ein Mann ist, der
glaubt, er wä­re ganz aus Glas, und der je­den bit­tet, ihn nicht an­zu­sto­ßen, weil
er schon einen Sprung ha­be – die bei­den spre­chen mit­ein­an­der, Gre­gor über den
Kö­nig, der im Hemd bü­ßen soll, und der Glas­mann dar­über, daß er die Son­ne nicht
er­tra­gen kön­ne, weil sie sich in ihm spie­ge­le – dann er­teilt Gre­gor den päpst­li­chen
Se­gen, der Glas­mann nimmt das Tuch, das sei­nen durch­sich­ti­gen Kopf vor der
Son­ne be­hü­tet, einen Au­gen­blick ab,

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