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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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und bei­de tren­nen sich mit der Höf­lich­keit
ver­gan­ge­ner Jahr­hun­der­te. Ich war al­so nicht er­staunt, als Ge­ne­viè­ve mich
an­sprach; ich war nur er­staunt dar­über, wie schön sie war, denn sie war ge­ra­de
Isa­bel­le.
    Sie
sprach lan­ge mit mir. Sie trug einen leich­ten hel­len Pelz­man­tel, der min­des­tens
zehn bis zwan­zig Kreuz­denk­mä­ler aus bes­tem schwe­di­schem Gra­nit wert war, und
da­zu ein Abend­kleid und gol­de­ne San­da­len. Es war elf Uhr mor­gens, und in der
Welt jen­seits der Mau­ern wä­re das un­mög­lich ge­we­sen. Hier aber wirk­te es nur
auf­re­gend; als wä­re je­mand mit ei­nem Fall­schirm von ei­nem frem­den Pla­ne­ten
her­ab­ge­weht wor­den.
    Es
war ein Tag mit Son­ne, Re­gen­schau­ern, Wind und plötz­li­cher Stil­le. Sie
wir­bel­ten durch­ein­an­der, ei­ne Stun­de war es März, die an­de­re April, und dann
fiel un­ver­mit­telt ein Stück Mai und Ju­ni hin­ein. Da­zu kam Isa­bel­le, von
ir­gend­wo­her, und es war wirk­lich von ir­gend­wo­her – von da, wo die Gren­zen
auf­hö­ren, wo das Licht der Ver­nunft nur noch ver­zerrt wie ein we­hen­des
Nord­licht an Him­meln hängt, die kei­nen Tag und kei­ne Nacht ken­nen – nur ih­re
ei­ge­nen Strah­len-Echos und die Echos der Echos und das fah­le Licht des Jen­seits
und der zeit­lo­sen Wei­te.
    Sie
ver­wirr­te mich von An­fang an, und al­le Vor­tei­le wa­ren auf ih­rer Sei­te. Ich
hat­te zwar vie­le bür­ger­li­che Be­grif­fe im Krie­ge ver­lo­ren, aber das hat­te mich
nur zy­nisch und et­was ver­zwei­felt ge­macht, aber nicht über­le­gen und frei. So
saß ich da und starr­te sie an, als wä­re sie oh­ne Schwer­ge­wicht und schwe­be,
wäh­rend ich ihr müh­sam nach­stol­per­te. Da­zu kam, daß oft ei­ne son­der­ba­re
Weis­heit durch das schim­mer­te, was sie sag­te; es war nur ver­scho­ben und gab
dann über­ra­schend einen Fern­blick frei, der ei­nem das Herz klop­fen ließ; doch
wenn man ihn hal­ten woll­te, weh­ten schon wie­der Schlei­er und Ne­bel dar­über, und
sie war ganz wo­an­ders.
    Sie
küß­te mich am ers­ten Ta­ge, und sie tat es so selbst­ver­ständ­lich, daß es nichts
zu be­deu­ten schi­en; aber das än­der­te nichts dar­an, daß ich es nicht spür­te. Ich
spür­te es, er er­reg­te mich, doch dann schlug es wie ei­ne Wel­le ge­gen die
Bar­rie­re ei­nes Rif­fes – ich wuß­te, sie mein­te mich gar nicht, sie mein­te je­mand
an­de­ren, ei­ne Ge­stalt ih­rer Phan­ta­sie, einen Rolf oder Ru­dolf, und viel­leicht
mein­te sie auch die nicht, und es wa­ren nur Na­men, die aus dunklen,
un­ter­ir­di­schen Strö­men hoch­ge­wor­fen wur­den, oh­ne Wur­zeln und oh­ne Zu­sam­men­hang.
    Sie
kam von da an fast je­den Sonn­tag in den Gar­ten, und wenn es reg­ne­te, kam sie in
die Ka­pel­le. Ich hat­te von der Oberin die Er­laub­nis, nach der Mes­se Or­gel zu
üben, wenn ich woll­te. Ich tat es bei schlech­tem Wet­ter. Ich üb­te nicht
wirk­lich, da­für spiel­te ich zu schlecht; ich tat nur das­sel­be wie mit dem
Kla­vier: ich spiel­te für mich, ir­gend­wel­che lau­en Phan­tasi­en, so gut es ging,
et­was Stim­mung und Träu­me­rei und Sehn­sucht nach Un­ge­wis­sem, nach Zu­kunft, nach
Er­fül­lung und nach mir selbst, und man brauch­te nicht be­son­ders gut zu spie­len,
um das zu kön­nen. Isa­bel­le kam manch­mal mit mir und hör­te zu. Sie saß dann im
Halb­dun­kel un­ten, der Re­gen klatsch­te an die bun­ten Schei­ben, und die Or­gel­tö­ne
gin­gen über ihr dunkles Haupt da­hin – ich wuß­te nicht, was sie dach­te, und es
war son­der­bar und et­was sen­ti­men­tal, aber da­hin­ter stand dann plötz­lich die Fra­ge
nach dem Warum, der Schrei, die Angst und das Ver­stum­men. Ich fühl­te das al­les,
und ich fühl­te auch et­was von der un­faß­ba­ren Ein­sam­keit der Krea­tur, wenn wir
in der lee­ren Kir­che mit der Däm­me­rung und den Or­gel­lau­ten wa­ren, nur wir
bei­de, als wä­ren wir die ein­zi­gen Men­schen, zu­sam­men­ge­hal­ten vom hal­b­en Licht,
den Ak­kor­den und dem Re­gen, und trotz­dem für im­mer ge­trennt, oh­ne je­de Brücke,
oh­ne Ver­ständ­nis, oh­ne Wor­te, nur mit dem merk­wür­di­gen Glü­hen der klei­nen
Wach­feu­er an den Gren­zen des

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