Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
Vom Netzwerk:
Le­bens in uns, die wir sa­hen und miß­ver­stan­den,
sie in ih­rer, ich in mei­ner Wei­se, wie taub­stum­me Blin­de, oh­ne taub und stumm
und blind zu sein, und des­halb viel är­mer und be­zie­hungs­lo­ser. Was war es, das
in ihr mach­te, daß sie zu mir kam? Ich wuß­te es nicht und wür­de es nie wis­sen –
es war be­gra­ben un­ter Schutt und ei­nem Berg­rutsch –, aber ich ver­stand auch
nicht, warum die­se son­der­ba­re Be­zie­hung mich trotz­dem so ver­wirr­te, ich wuß­te
doch, was mit ihr war und daß sie mich nicht mein­te, und trotz­dem mach­te es
mich sehn­süch­tig nach et­was, das ich nicht kann­te, und be­stürz­te mich und
mach­te mich manch­mal glück­lich und un­glück­lich oh­ne Grund und oh­ne Sinn.
    Ei­ne klei­ne Schwes­ter
kommt auf mich zu. «Die Oberin möch­te gern mit Ih­nen spre­chen.»
    Ich
ste­he auf und fol­ge ihr. Mir ist nicht ganz wohl zu­mu­te. Viel­leicht hat ei­ne
der Schwes­tern spio­niert und die Oberin will mir sa­gen, ich sol­le nur mit
Kran­ken über sech­zig spre­chen, oder sie will mir so­gar kün­di­gen, ob­schon der
Ober­arzt er­klärt hat, es sei gut, wenn Isa­bel­le Ge­sell­schaft ha­be.
    Die
Oberin emp­fängt mich in ih­rem Be­suchs­zim­mer. Es riecht nach Boh­ner­wachs, Tu­gend
und Sei­fe. Kein Hauch vom Früh­ling ist hin­ein­ge­drun­gen. Die Oberin, ei­ne
ha­ge­re, ener­gi­sche Frau, emp­fängt mich freund­lich; sie hält mich für einen
ta­del­lo­sen Chris­ten, der Gott liebt und an die Kir­che glaubt. «Es ist bald
Mai», sagt sie und sieht mir ge­ra­de in die Au­gen.
    «Ja»,
er­wi­de­re ich und mus­te­re die blü­ten­wei­ßen Gar­di­nen und den kah­len, glän­zen­den
Fuß­bo­den.
    «Wir
ha­ben dar­an ge­dacht, ob wir nicht ei­ne Mai-An­dacht ab­hal­ten könn­ten.»
    Ich
schwei­ge er­leich­tert. «In den Kir­chen der Stadt ist im Mai je­den Abend um acht
Uhr ei­ne An­dacht», er­klärt die Oberin.
    Ich
ni­cke. Ich ken­ne die Mai-An­dach­ten. Weih­rauch quillt in die Däm­me­rung, die
Mons­tranz fun­kelt, und nach der An­dacht trei­ben sich die jun­gen Leu­ten noch
ei­ni­ge Zeit um­her auf den Plät­zen mit den al­ten Bäu­men, wo die Mai­kä­fer sum­men.
Ich ge­he zwar nie hin, aber ich weiß das noch aus der Zeit, be­vor ich Sol­dat
wur­de. Da­mals be­gan­nen mei­ne ers­ten Er­leb­nis­se mit jun­gen Mäd­chen. Al­les war
sehr auf­re­gend und heim­lich und harm­los. Aber ich den­ke nicht dar­an, jetzt
je­den Abend die­ses Mo­nats um acht Uhr hier an­zu­tre­ten und Or­gel zu spie­len.
    «Wir
möch­ten we­nigs­tens sonn­tags abends ei­ne An­dacht ha­ben», sagt die Oberin. «Ei­ne
fest­li­che, mit Or­gel­mu­sik und Te De­um. Ei­ne stil­le wird oh­ne­hin für die
Schwes­tern je­den Abend ge­hal­ten.»
    Ich
über­le­ge. Sonn­tags abends ist es lang­wei­lig in der Stadt, und die An­dacht
dau­ert nur ei­ne knap­pe Stun­de.
    «Wir
kön­nen nur we­nig zah­len», er­klärt die Oberin. «So­viel wie für die Mes­se. Das
ist jetzt wohl nicht mehr viel, wie?»
    «Nein»,
sa­ge ich. «Es ist nicht mehr viel. Wir ha­ben drau­ßen ei­ne In­fla­ti­on.»
    «Ich
weiß.» Sie steht un­ent­schlos­sen. «Der In­stan­zen­weg der Kir­che ist lei­der da­für
nicht ein­ge­rich­tet. Sie denkt in Jahr­hun­der­ten. Wir müs­sen das hin­neh­men. Man
tut es ja schließ­lich für Gott und nicht für Geld. Oder nicht?»
    «Man
kann es für bei­des tun», er­wi­de­re ich. «Das ist dann ein be­son­ders glück­li­cher
Zu­stand.»
    Sie
seufzt. «Wir sind ge­bun­den an die Be­schlüs­se der Kir­chen­be­hör­den. Die wer­den
ein­mal im Jahr ge­faßt, und nicht öf­ter.»
    «Auch
für die Ge­häl­ter der Her­ren Pas­to­ren, Dom­ka­pi­tu­la­re und das des Herrn
Bi­schofs?» fra­ge ich.
    «Das
weiß ich nicht», sagt sie und er­rö­tet et­was. «Aber ich glau­be schon.»
    Ich
ha­be in­zwi­schen mei­nen Ent­schluß ge­faßt. «Heu­te abend ha­be ich kei­ne Zeit»,
er­klä­re ich. «Wir ha­ben ei­ne wich­ti­ge ge­schäft­li­che Sit­zung.»
    «Heu­te
ist ja noch April. Aber nächs­ten Sonn­tag – oder, wenn Sie sonn­tags nicht
kön­nen, viel­leicht ein­mal in der Wo­che. Es wä­re doch schön, ab und zu ei­ne
rich­ti­ge Mai-An­dacht zu ha­ben. Die Mut­ter­got­tes wird es

Weitere Kostenlose Bücher