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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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nicht die
ver­git­ter­ten Fens­ter sä­he.
    Ich
lie­be den Park, weil er still ist und weil ich hier mit nie­mand über Krieg,
Po­li­tik und In­fla­ti­on zu re­den brau­che. Ich kann ru­hig sit­zen und so
alt­mo­di­sche Din­ge tun wie auf den Wind lau­schen, den Vö­geln zu­hö­ren und das
Licht be­ob­ach­ten, wie es durch das hel­le Grün der Baum­kro­nen fil­tert.
    Die
Kran­ken, die aus­ge­hen dür­fen, wan­dern vor­über. Die meis­ten sind still, an­de­re
re­den mit sich selbst, ein paar dis­ku­tie­ren leb­haft mit Be­su­chern und Wär­tern,
und vie­le hocken schwei­gend und al­lein, oh­ne sich zu rüh­ren, mit ge­beug­ten
Köp­fen, wie ver­stei­nert in der Son­ne – bis sie wie­der in ih­re Zel­len
zu­rück­ge­schafft wer­den.
    Es
hat ei­ni­ge Zeit ge­dau­ert, ehe ich mich an den An­blick ge­wöhnt ha­be, und selbst
heu­te kommt es ab und zu noch vor, daß ich die Ir­ren an­star­re wie zu An­fang:
mit ei­nem Ge­misch aus Neu­gier, Grau­en und et­was na­men­lo­sem drit­ten, das mich an
den Au­gen­blick er­in­nert, als ich mei­nen ers­ten To­ten sah. Ich war da­mals zwölf
Jah­re alt, der To­te hieß Ge­org Hell­mann, ei­ne Wo­che vor­her hat­te ich mit ihm
noch ge­spielt, und nun lag er da, zwi­schen Blu­men und Krän­zen, et­was un­sag­bar
Frem­des aus gel­bem Wachs, das in ei­ner ent­setz­li­chen Wei­se nichts mehr mit uns
zu tun hat­te, das fort war für ein un­aus­denk­ba­res Im­mer und doch noch da, in
ei­ner stum­men, selt­sam küh­len Dro­hung. Spä­ter, im Krie­ge, ha­be ich dann
un­zäh­li­ge To­te ge­se­hen und kaum mehr da­bei emp­fun­den, als wä­re ich in ei­nem
Schlacht­hau­se – aber die­sen ers­ten ha­be ich nie ver­ges­sen, so wie man al­les
Ers­te nicht ver­gißt. Er war der Tod. Und es ist der­sel­be Tod, der mich manch­mal
aus den er­lo­sche­nen Au­gen der Ir­ren an­blickt, ein le­ben­di­ger Tod,
un­be­greif­li­cher fast noch und rät­sel­haf­ter als der an­de­re, stil­le. Nur bei
Isa­bel­le ist das an­ders.
    Ich
se­he sie
den Weg vom Pa­vil­lon für Frau­en her­an­kom­men. Ein gel­bes Kleid schwingt wie ei­ne
Glo­cke aus Shan­tungs­ei­de um ih­re Bei­ne, und in der Hand hält sie einen fla­chen,
brei­ten Stroh­hut.
    Ich
ste­he auf und ge­he ihr ent­ge­gen. Ihr Ge­sicht ist schmal, und man sieht dar­in
ei­gent­lich nur die Au­gen und den Mund. Die Au­gen sind grau und grün und sehr
durch­sich­tig, und der Mund ist rot wie der ei­ner Lun­gen­kran­ken oder als hät­te
sie ihn stark ge­schminkt. Die Au­gen kön­nen aber auch plötz­lich flach,
schie­fer­far­ben und klein wer­den und der Mund schmal und ver­bit­tert wie der
ei­ner al­ten Jung­fer, die nie ge­hei­ra­tet wor­den ist. Wenn sie so ist, ist sie Jen­nie,
ei­ne miß­traui­sche, un­an­ge­neh­me Per­son, der man nichts recht ma­chen kann – wenn
sie an­ders ist, ist sie Isa­bel­le. Bei­des sind Il­lu­sio­nen, denn in Wirk­lich­keit
heißt sie Ge­ne­viè­ve Ter­ho­ven und lei­det an ei­ner Krank­heit, die den häß­li­chen
und et­was ge­spens­ti­schen Na­men Schi­zo­phre­nie führt – Tei­lung des Be­wußt­seins,
Spal­tung der Per­sön­lich­keit, und das ist auch der Grund, warum sie sich für
Isa­bel­le oder Jen­nie hält – je­mand an­dern, als sie wirk­lich ist. Sie ist ei­ne
der jüngs­ten Kran­ken der An­stalt. Ih­re Mut­ter soll im El­saß le­ben und ziem­lich
reich sein, sich aber we­nig um sie küm­mern – ich ha­be sie je­den­falls hier noch
nicht ge­se­hen, seit ich Ge­ne­viè­ve ken­ne, und das ist schon sechs Wo­chen her.
    Sie
ist heu­te Isa­bel­le, das se­he ich so­fort. Sie lebt dann in ei­ner Traum­welt, die
nichts mit der Wirk­lich­keit zu tun hat, und ist leicht und schwe­re­los, und ich
wür­de mich nicht wun­dern, wenn die Zi­tro­nen­fal­ter, die über­all her­um­spie­len,
sich ihr auf die Schul­tern setz­ten.
    «Da
bist du!» sagt sie strah­lend. «Wo warst du all die Zeit?»
    Wenn
sie Isa­bel­le ist, sagt sie du zu mir. Das ist kei­ne be­son­de­re Aus­zeich­nung; sie
sagt dann du zu al­ler Welt.
    «Wo
warst du?» fragt sie noch ein­mal.
    Ich
ma­che ei­ne Be­we­gung in die Rich­tung des To­res.
    «Ir­gend­wo
– da drau­ßen ...»
    Sie
sieht mich einen Au­gen­blick for­schend

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