E.M. Remarque
Augenblick. Das wäre ja, als hätte man dauernd einen
Abgrund hinter sich, denke ich.
«Bin
ich auch nicht mehr da, wenn du dich umdrehst?» frage ich.
«Du
auch nicht. Nichts.»
«Ach
so», sage ich etwas bitter. «Für mich bin ich aber immerfort da. Auch wenn ich
mich noch so rasch umdrehe.»
«Du
drehst dich nach der falschen Seite um.»
«Gibt
es da auch Seiten?»
«Für
dich schon, Rolf.»
Ich
zucke aufs neue zusammen unter dem verhaßten Namen. «Und für dich? Was ist mit
dir?»
Sie
sieht mich an und lächelt abwesend, als kenne sie mich nicht. «Ich? Ich bin
doch gar nicht da!»
«So?
Für mich bist du genug da.»
Ihr
Ausdruck verändert sich. Sie erkennt mich wieder.
«Ist
das wahr? Warum sagst du mir das nicht öfter?»
«Ich
sage es dir doch immerfort.»
«Nicht
genug.» Sie lehnt sich an mich. Ich fühle ihren Atem und ihre Brüste unter der
dünnen Seide. «Nie genug», sagt sie mit einem Seufzer. «Warum weiß das niemand?
Ach, ihr Statuen!»
Statuen,
denke ich. Was bleibt mir denn anders übrig? Ich sehe sie an, sie ist schön und
aufregend, ich spüre sie, und jedesmal, wenn ich mit ihr zusammen bin, ist es,
als telefonierten tausend Stimmen durch meine Adern, aber dann plötzlich bricht
es ab, als hätten alle eine falsche Verbindung, ich finde mich nicht mehr
zurecht, und es entsteht nichts als Verwirrung. Man kann eine Irre nicht
begehren. Vielleicht kann man es; ich kann es nicht. Es ist, als wollte man
eine automatische Puppe begehren. Oder jemand, der hypnotisiert ist. Das aber
ändert nichts daran, daß man ihre Nähe nicht doch spürt.
Die
grünen Schatten der Allee öffnen sich, und vor uns liegen die Beete der Tulpen
und Narzissen in der vollen Sonne. «Du mußt deinen Hut aufsetzen, Isabelle»,
sage ich. «Der Doktor will es so.»
Sie
wirft den Hut in die Blüten. «Der Doktor! Was der alles will! Er will mich
heiraten, aber sein Herz ist verhungert. Er ist eine Eule, die schwitzt.»
Ich
glaube nicht, daß Eulen schwitzen können. Aber das Bild überzeugt trotzdem.
Isabelle tritt wie eine Tänzerin zwischen die Tulpen und kauert sich nieder.
«Hörst du die hier?»
«Natürlich»,
sage ich erleichtert. «Jeder kann sie hören. Es sind Glocken. In Fis-Dur.»
«Was
ist Fis-Dur?»
«Eine
Tonart. Die süßeste von allen.»
Sie
wirft ihren weiten Rock über die Blüten. «Läuten sie jetzt in mir?»
Ich
nicke und sehe auf ihren schmalen Nacken. Alles läutet in dir, denke ich. Sie
bricht eine Tulpe ab und betrachtet die offene Blüte und den fleischigen
Stengel, aus dem der Saft quillt.
«Das
hier ist nicht süß.»
«Gut
– dann sind es Glocken in C-Dur.»
«Muß
es Dur sein?»
«Es
kann auch Moll sein.»
«Kann
es nicht beides zugleich sein?»
«In
der Musik nicht», sage ich, in die Enge getrieben. «Es gibt da Prinzipien. Es
kann nur eins oder das andere sein. Oder eins nach dem anderen.»
«Eins
nach dem andern!» Isabelle sieht mich mit leichter Verachtung an. «Immer kommst
du mit diesen Ausreden, Rolf. Warum?»
«Ich
weiß es auch nicht. Ich wollte, es wäre anders.»
Sie
richtet sich plötzlich auf und schleudert die Tulpe, die sie abgebrochen hat,
von sich. Mit einem Sprung ist sie aus dem Beet heraus und schüttelt heftig ihr
Kleid aus. Dann zieht sie es hoch und betrachtet ihre Beine. Ihr Gesicht ist
von Ekel verzerrt.
«Was
ist passiert?» frage ich erschreckt.
Sie
zeigt auf das Beet. «Schlangen ...»
Ich
blicke auf die Blumen. «Da sind keine Schlangen, Isabelle.»
«Doch!
Die da!» Sie deutet auf die Tulpen. «Siehst du nicht, was sie wollen? Ich habe
es gespürt.»
«Sie
wollen nichts. Es sind Blumen», sage ich verständnislos.
«Sie
haben mich angerührt!» Sie zittert vor Ekel und starrt immer noch auf die
Tulpen.
Ich
nehme sie bei den Armen und drehe sie so, daß sie das Beet nicht mehr sieht.
«Jetzt hast du dich umgedreht», sage ich. «Jetzt sind sie nicht mehr da.»
Sie
atmet heftig. «Laß es nicht zu! Zertritt
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