E.M. Remarque
einer
Kavalleriekapelle und schützen so Ihre Tugend? Kennen Sie die drei kostbarsten
Dinge des Lebens nicht?»
«Wie
soll ich sie kennen, Herr Oberstaatsanwalt, wenn ich das Leben selbst noch
suche?»
«Tugend,
Einfalt und Jugend», dekretiert Georg. «Einmal verloren, nie wieder zu
gewinnen! Und was ist hoffnungsloser als Erfahrung. Alter und kahle
Intelligenz?»
«Armut,
Krankheit und Einsamkeit», erwidere ich und rühre.
«Das
sind nur andere Namen für Erfahrung, Alter und mißleitete Intelligenz.»
Georg
nimmt mir die Zigarre aus dem Mund, betrachtet sie kurz und bestimmt sie wie
ein Sammler einen Schmetterling. «Beute von der Metallwarenfabrik.»
Er
zieht eine schöne angerauchte, goldbraune Meerschaumspitze aus der Tasche, paßt
die Brasil hinein und raucht sie weiter.
«Ich
habe nichts gegen die Beschlagnahme der Zigarre», sage ich. «Es ist rohe
Gewalt, und mehr kennst du ehemaliger Unteroffizier ja nicht vom Leben. Aber
wozu die Zigarrenspitze? Ich bin kein Syphilitiker.»
«Und
ich kein Homosexueller.»
«Georg»,
sage ich. «Im Kriege hast du mit meinem Löffel Erbsensuppe gegessen, wenn ich
sie in der Küche gestohlen hatte. Und der Löffel wurde in meinen schmutzigen
Stiefeln aufbewahrt und nie gewaschen.»
Georg
betrachtet die Asche der Brasil. Sie ist schneeweiß. «Der Krieg ist viereinhalb
Jahre vorbei», doziert er.
«Damals
sind wir durch maßloses Unglück zu Menschen geworden. Heute hat uns die
schamlose Jagd nach Besitz aufs neue zu Räubern gemacht. Um das zu tarnen,
brauchen wir wieder den Firnis gewisser Manieren. Ergo! Aber hast du nicht noch
eine zweite Brasil? Die Metallwarenfabrik versucht Angestellte nie mit einer
einzigen zu bestechen.»
Ich
hole die zweite Zigarre aus der Schublade und gebe sie ihm. «Intelligenz,
Erfahrung und Alter scheinen doch für etwas gut zu sein», sage ich.
Er
grinst und händigt mir dafür eine Schachtel Zigaretten aus, in der sechs
fehlen. «War sonst was los?» fragt er.
«Nichts.
Keine Kunden. Aber ich muß dringend um eine Gehaltserhöhung ersuchen.»
«Schon
wieder? Du hast doch erst gestern eine gehabt!»
«Nicht
gestern. Heute morgen um neun. Lumpige achttausend Mark. Immerhin, heute morgen
um neun war das wenigstens noch etwas. Inzwischen ist der neue Dollarkurs
herausgekommen, und ich kann nun statt einer neuen Krawatte nur noch eine
Flasche billigen Wein dafür kaufen. Ich brauche aber eine Krawatte.»
«Wie
steht der Dollar jetzt?»
«Heute
mittag sechsunddreißigtausend Mark. Heute morgen waren es noch dreißigtausend.
Georg
Kroll besieht seine Zigarre. «Sechsunddreißigtausend! Das geht ja wie das
Katzenrammeln! Wo soll das enden?»
«In
einer allgemeinen Pleite, Herr Feldmarschall», erwidere ich. «Inzwischen aber
müssen wir leben. Hast du Geld mitgebracht?»
«Nur
einen kleinen Handkoffer voll für heute und morgen. Tausender, Zehntausender,
sogar noch ein paar Pakete mit lieben, alten Hundertern. Etwa fünf Pfund
Papiergeld. Die Inflation geht ja jetzt so schnell, daß die Reichsbank mit dem
Drucken nicht mehr nachkommt. Die neuen Hunderttausendernoten sind erst seit
vierzehn Tagen raus – und jetzt müssen bald schon Millionenscheine gedruckt
werden. Wann sind wir in den Milliarden?»
«Wenn
es so weitergeht, in ein paar Monaten.»
«Mein
Gott!» seufzt Georg. «Wo sind die schönen ruhigen Zeiten von 1922? Da stieg der
Dollar in einem Jahr nur von zweihundertfünfzig auf zehntausend. Ganz zu
schweigen von 1921 – da waren es nur lumpige dreihundert Prozent.»
Ich
sehe aus dem Fenster, das zur Straße hinausgeht. Lisa trägt jetzt einen
seidenen Schlafrock, mit Papageien bedruckt. Sie hat einen Spiegel an die
Fensterklinke
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