E.M. Remarque
jammervoll!» sage ich enttäuscht. «Du bist anscheinend über Nacht zu einem
ekelhaften Materialisten herabgesunken. Hausbesitzer! Und wo bleibt deine
unsterbliche Seele?»
«Hausbesitzer
und Bildhauer.» Bach gibt eine Glissando-Passage zum besten. Über ihm hämmert
der Tischler Wilke den Takt dazu. Er macht einen eiligen weißen Kindersarg zum
Überstundentarif. «Dann brauche ich keine verdammten sterbenden Löwen und
auffliegenden Adler mehr für euch zu machen! Keine Tiere! Nie wieder Tiere!
Tiere soll man essen oder bewundern. Sonst nichts. Ich habe genug von Tieren.
Besonders von heroischen.» Er beginnt den Jäger aus Kurpfalz zu spielen. Ich
sehe, daß mit ihm heute abend kein anständiges Gespräch zu führen ist.
Besonders nicht eines, bei dem man untreue Frauen vergißt. «Was ist der Sinn
des Lebens?» frage ich noch im Gehen.
«Schlaf,
Fraß und Beischlaf.»
Ich
winke ab und wandere zurück. Unwillkürlich falle ich in Schritt mit dem Hämmern
Wilkes; dann merke ich es und wechsle den Rhythmus.
Unter
dem Torbogen steht Lisa. Sie hat die Rosen in der Hand. «Hier! Behalte das! Ich
kann so was nicht brauchen.»
«Warum
nicht? Hast du keinen Sinn für die Schönheit der Natur?»
«Gott
sei Dank nicht. Ich bin keine Kuh. Riesenfeld!» Sie lacht mit ihrer
Nachtklubstimme. «Sag dem Knaben, daß ich nicht jemand bin, dem man Blumen
schenkt.»
«Was
denn?»
«Schmuck»,
erwidert Lisa. «Was sonst?»
«Keine
Kleider?»
«Kleider
erst, wenn man intimer ist.» Sie blitzt mich an. «Du siehst jämmerlich aus.
Soll ich dich mal munter machen?»
«Danke»,
erwidere ich. «Ich bin munter genug. Geh du nur allein zur Cocktailstunde in
die Rote Mühle.»
«Ich
meine nicht die Rote Mühle. Spielst du immer noch Orgel für die Idioten?»
«Ja»,
sage ich überrascht. «Woher weißt du das?»
«Es
spricht sich herum. Ich möchte mal mitgehen in die Klapsbude, weißt du.»
«Du
kommst noch früh genug hin, ohne mich.»
«Na,
wir werden mal sehen, wer von uns der erste ist», erklärt Lisa lässig und legt
die Blumen auf einen Hügelstein. «Hier, nimm das Gemüse! Ich kann es nicht im
Hause haben. Mein Alter ist zu eifersüchtig.»
«Was?»
«Klar
doch! Wie ein Rasiermesser! Und warum auch nicht?»
Ich
weiß nicht, was an einem Rasiermesser eifersüchtig sein kann; aber das Bild
überzeugt. «Wenn dein Mann eifersüchtig ist, wie kannst du dann abends dauernd
verschwinden?» frage ich.
«Er
schlachtet doch nachts. Das richte ich mir schon ein.»
«Und
wenn er nicht schlachtet?»
«Dann
habe ich eine Anstellung als Garderobiere in der Roten Mühle.»
«Tatsächlich?»
«Mann,
bist du doof», erwidert Lisa. «Wie mein Alter!»
«Und
die Kleider und der Schmuck?»
«Alles
billig und unecht.» Lisa grinst. «Glaubt jeder Ehemann glatt. Also hier, nimm
das Grünzeug. Schick es an irgendein Milchkalb. Du siehst so aus, als ob du
Blumen schicktest.»
«Da
kennst du mich aber schlecht.»
Lisa
wirft mir einen abgründigen Blick über ihre Schulter zu. Dann geht sie auf
ihren schönen Beinen, die in schlampigen roten Pantoffeln stecken, über die
Straße zurück. Einer der Pantoffeln ist mit einem Pompon geschmückt; beim
andern ist er abgerissen.
Die
Rosen leuchten durch die Dämmerung. Es ist ein erheblicher Strauß. Riesenfeld
hat sich nicht lumpen lassen. Fünfzigtausend Mark, schätze ich, sehe mich
vorsichtig um, nehme sie dann wie ein Dieb an mich und gehe auf mein Zimmer.
Oben
steht der Abend in blauem Mantel am Fenster. Die Bude ist voll von Reflexen und
Schatten, und plötzlich schlägt die Einsamkeit wie mit Keulen aus dem
Hinterhalt auf mich ein. Ich weiß, daß es Unsinn ist, ich bin nicht einsamer
als ein Ochse in einer Herde Ochsen, aber was soll ich machen? Einsamkeit hat
nichts mit Mangel an Gesellschaft zu tun. Mir fällt plötzlich ein, daß ich
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