E.M. Remarque
heilige Munitionsfabrikanten – kurz, die Erde scheint, wenn man den
Todesanzeigen glaubt, von einer Horde Engel ohne Flügel bewohnt gewesen zu
sein, von denen man nichts gewußt hat. Liebe, die im Leben wahrhaftig nur
selten rein vorkommt, leuchtet im Tode von allen Seiten und ist das häufigste,
was es gibt. Es wimmelt nur so von erstklassigen Tugenden, von treuer Sorge,
von tiefer Frömmigkeit, von selbstloser Hingabe, und auch die Hinterbliebenen
wissen, was sich gehört – sie sind von Kummer gebeugt, der Verlust ist
unersetzlich, sie werden den Verstorbenen nie vergessen – es ist erhebend, das
zu lesen, und man könnte stolz sein, zu einer Rasse zu gehören, die so noble
Gefühle hat.
Ich
schneide die Todesanzeige des Bäckermeisters Niebuhr aus. Er wird als gütiger,
treubesorgter, geliebter Gatte und Vater geschildert. Ich selbst habe Frau
Niebuhr mit aufgelösten Flechten aus dem Hause fliehen sehen, wenn der gütige
Niebuhr mit seinem Hosenriemen hinter ihr her war und auf sie einschlug; und ich
habe den Arm gesehen, den der treusorgende Vater seinem Sohne Roland gebrochen
hat, als er ihn in einem Anfall von Jähzorn aus dem Fenster der Parterrewohnung
warf. Es konnte der schmerzgebeugten Witwe gar nichts Besseres passieren, als
daß dieser Wüterich endlich, vom Schlag getroffen, beim Backen der
Morgenbrötchen und der Hefekuchen dahinsank; trotzdem aber glaubt sie das
plötzlich nicht mehr. Alles, was Niebuhr angerichtet hat, ist durch den Tod
weggewischt. Er ist ein Ideal geworden. Der Mensch, der immer ein erstaunliches
Talent zur Selbsttäuschung und Lüge hat, läßt es bei Todesfällen besonders hell
glänzen und nennt es Pietät. Das erstaunlichste aber ist, daß er das, was er
dann behauptet, selbst bald so fest glaubt, als hätte er eine Ratte in einen Hut
gesteckt und gleich darauf ein schneeweißes Kaninchen herausgezogen.
Frau
Niebuhr hat diese magische Verwandlung durchgemacht, als man den backenden
Lumpen, der sie täglich verhaute, die Treppe heraufschleppte. Anstatt auf die
Knie zu fallen und Gott für die Befreiung zu danken, begann in ihr sofort die
Verklärung durch den Tod. Weinend stürzte sie sich auf den Leichnam, und
seitdem sind ihre Augen nicht trocken geworden. Ihrer Schwester, die sie an die
vielen Prügel und an Rolands falsch geheilten Arm erinnerte, erklärte sie
indigniert, das seien Kleinigkeiten, und die Hitze des Backofens sei schuld
daran gewesen; Niebuhr, in seiner nie ermüdenden Sorge für die Familie, habe
zuviel gearbeitet, und der Backofen habe bei ihm ab und zu wie ein Sonnenstich gewirkt.
Damit wies sie ihrer Schwester die Tür und trauerte weiter. Sie ist sonst eine
vernünftige, redliche und arbeitsame Frau, die weiß, was los ist, aber jetzt
sieht sie Niebuhr auf einmal so, wie er niemals war, und glaubt es fest, und
das ist es, was so bewundernswert daran ist. Der Mensch ist nämlich nicht nur
ein ewiger Lügner, sondern auch ein ewiger Gläubiger; er glaubt an das Gute und
Schöne und Vollkommene, selbst wenn es nicht vorhanden ist oder nur sehr
rudimentär – und das ist der zweite Grund dafür, daß mich das Lesen der
Todesanzeigen erbaut und zum Optimisten macht.
Ich
lege die
Anzeige Niebuhrs zu den sieben anderen, die ich herausgeschnitten habe. Montags
und dienstags haben wir immer ein paar mehr als sonst. Das Wochenende tut das;
es wird gefeiert, gegessen, getrunken, gestritten, sich aufgeregt – und das
Herz, die Arterien und der Schädel halten es diesmal nicht mehr aus. Frau
Niebuhrs Anzeige lege ich in das Fach für Heinrich Kroll. Es ist ein Fall für
ihn. Er ist ein aufrechter Mann ohne Ironie und hat von der verklärenden
Wirkung des Todes dieselbe Vorstellung wie sie, solange sie
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