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E.M. Remarque

E.M. Remarque

Titel: E.M. Remarque Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der schwarze Obelisk
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zu­rück­sieht, ist un­ser Bild schon nicht mehr
da.»
    «Und
wenn sie es nur ver­ste­cken?»
    «Wie
kön­nen sie es ver­ste­cken? Sie spie­geln doch al­les! Des­halb sind sie ja Spie­gel.
Ein Spie­gel kann nichts ver­ste­cken.»
    Ei­ne
Fal­te steht zwi­schen Isa­bel­les Brau­en. «Wo bleibt es dann?»
    «Was?»
    «Das
Bild! Die an­de­re Sei­te! Springt es in uns zu­rück?»
    «Das
weiß ich nicht.»
    «Es
kann doch nicht ver­lo­ren­ge­hen!»
    «Es
geht nicht ver­lo­ren.»
    «Wo
bleibt es denn?» fragt sie drän­gen­der. «Im Spie­gel?»
    «Nein.
Im Spie­gel ist es nicht mehr.»
    «Es
wird schon noch da sein! Wo­her weißt du das so ge­nau? Du siehst es doch nicht.»
    «An­de­re
Leu­te se­hen auch, daß es nicht mehr da ist. Sie se­hen nur ihr ei­ge­nes Bild,
wenn sie vor dem Spie­gel ste­hen. Nichts an­ders.»
    «Sie
ver­de­cken es. Aber wo bleibt meins? Es muß da sein!»
    «Es
ist ja da», sa­ge ich und be­reue, daß ich das gan­ze Ge­spräch an­ge­fan­gen ha­be.
«Wenn du wie­der vor den Spie­gel trittst, ist es auch wie­der da.»
    Isa­bel­le
ist plötz­lich sehr auf­ge­regt. Sie kniet auf der Bank und beugt sich vor.
Schwarz und schmal steht ih­re Sil­hou­et­te vor den Nar­zis­sen, de­ren Gelb im
schwü­len Abend aus­sieht, als wä­ren sie aus Schwe­fel. «Es ist al­so dar­in! Und
vor­hin sag­test du, es sei nicht da.»
    Sie
um­klam­mert mei­ne Hand und zit­tert. Ich weiß nicht, was ich ant­wor­ten soll, um
sie zu be­ru­hi­gen. Mit phy­si­ka­li­schen Ge­set­zen kann ich ihr nicht kom­men; sie
wür­de sie ver­ach­tungs­voll ab­leh­nen. Und im Au­gen­blick bin ich der Ge­set­ze auch
nicht so ganz si­cher. Spie­gel schei­nen auf ein­mal wirk­lich ein Ge­heim­nis zu
ha­ben.
    «Wo
ist es, Ru­dolf?» flüs­tert sie und drängt sich ge­gen mich. «Sag mir, wo es ist!
Ist über­all von mir ein Stück zu­rück­ge­blie­ben? In all den Spie­geln, die ich
ge­se­hen ha­be? Ich ha­be vie­le ge­se­hen, un­zäh­li­ge! Bin ich über­all dar­in
ver­streut? Hat je­der et­was von mir ge­nom­men? Einen dün­nen Ab­druck, ei­ne dün­ne
Schei­be von mir? Bin ich von Spie­geln zer­schnit­ten wor­den wie ein Stück Holz
von Ho­beln? Was ist dann noch von mir da?»
    Ich
hal­te ih­re Schul­tern. «Al­les ist von dir da», sa­ge ich. «Im Ge­gen­teil, Spie­gel
ge­ben noch et­was hin­zu. Sie ma­chen es sicht­bar und ge­ben es dir zu­rück – ein
Stück Raum, ein be­glänz­tes Stück Selbst.»
    «Selbst?»
Sie um­klam­mert im­mer noch mei­ne Hand. «Und wenn es an­ders ist? Wenn es über­all
be­gra­ben liegt in tau­send und tau­send Spie­geln? Wie kann man es zu­rück­ho­len?
Ach, man kann es nie zu­rück­ho­len! Es ist ver­lo­ren! Ver­lo­ren! Es ist ab­ge­ho­belt
wie ei­ne Sta­tue, die kein Ge­sicht mehr hat. Wo ist mein Ge­sicht? Wo ist mein
ers­tes Ge­sicht? Das vor al­len Spie­geln? Das, be­vor sie be­gan­nen, mich zu
steh­len?»
    «Nie­mand
hat dich ge­stoh­len», sa­ge ich rat­los. «Spie­gel steh­len nicht. Sie spie­geln
nur.»
    Isa­bel­le
at­met hef­tig. Ihr Ge­sicht ist bleich. In ih­ren durch­sich­ti­gen Au­gen schim­mert
der ro­te Wi­der­schein des Mon­des. «Wo ist es ge­blie­ben?» flüs­tert sie. «Wo ist
al­les ge­blie­ben? Wo sind wir über­haupt, Ru­dolf? Al­les läuft und saust und
ver­sinkt! Hal­te mich fest! Laß mich nicht los! Siehst du sie nicht?» Sie starrt
zum duns­ti­gen Ho­ri­zont. «Da flie­gen sie! Al­le die to­ten Spie­gel­bil­der! Sie
kom­men und wol­len Blut! Hörst du sie nicht? Die grau­en Flü­gel! Sie flat­tern wie
Fle­der­mäu­se! Laß sie nicht her­an!»
    Sie
drückt ih­ren Kopf ge­gen mei­ne Schul­ter und ih­ren be­ben­den Kör­per ge­gen mei­nen.
Ich hal­te sie und bli­cke in die Däm­me­rung, die tiefer und tiefer wird. Die Luft
ist still, aber das Dun­kel rückt jetzt aus den Bäu­men der Al­lee lang­sam vor wie
ei­ne laut­lo­se Kom­pa­nie von Schat­ten. Es scheint uns um­ge­hen zu wol­len und kommt
aus dem Hin­ter­halt her­an, um uns den Weg ab­zu­schnei­den. «Komm», sa­ge ich. «Laß
uns ge­hen! Drü­ben hin­ter der Al­lee ist es hel­ler. Da ist noch viel Licht.»
    Sie
wi­der­strebt und schüt­telt den Kopf. Ich füh­le ihr Haar an mei­nem Ge­sicht, es
ist weich und riecht nach Heu, und auch ihr

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