E.M. Remarque
sechs.»
Die
alte Frau Kroll kommt mit einer Gießkanne aus dem Garten. «Das ist ein ordentliches
Mädchen», sagt sie und blickt Gerda nach. «Was ist sie?»
«Akrobatin.»
«So,
Akrobatin!» erwidert sie überrascht. «Akrobatinnen sind meistens ordentliche
Menschen. Sie ist keine Sängerin, was?»
«Nein.
Eine richtige Akrobatin. Mit Saltos, Handständen und Verrenkungen wie ein
Schlangenmensch.»
«Sie
kennen sie ja ziemlich genau. Wollte sie etwas kaufen?»
«Noch
nicht.»
Sie
lacht. Ihre Brillengläser glitzern. «Mein lieber Ludwig», sagt sie. «Sie
glauben nicht, wie närrisch Ihnen Ihr jetziges Leben einmal vorkommen wird,
wenn Sie siebzig sind.»
«Dessen
bin ich noch gar nicht so sicher», erkläre ich. «Es kommt mir nämlich gerade
jetzt schon ziemlich närrisch vor. Was halten Sie übrigens von der Liebe?»
«Wovon?»
«Von
der Liebe. Der himmlischen und der irdischen Liebe.»
Frau
Kroll lacht herzlich. «Das habe ich längst vergessen. Gott sei Dank!»
Ich
stehe
in der Buchhandlung Arthur Bauers. Heute ist der Zahlungstag für die
Nachhilfestunden, die ich seinem Sohn erteile. Arthur junior hat die
Gelegenheit benützt, mir zur Begrüßung ein paar Heftzwecken auf meinen Stuhl zu
legen. Ich hätte ihm dafür gerne sein Schafsgesicht in das Goldfischglas
getunkt, das den Plüschsalon ziert, aber ich mußte mich beherrschen – Arthur
junior weiß das.
«Also
Yoga», sagt Arthur senior jovial und schiebt mir einen Packen Bücher zu. «Ich
habe Ihnen hier herausgelegt, was wir haben. Yoga, Buddhismus, Askese,
Nabelschau – wollen Sie Fakir werden?»
Ich
mustere ihn mißbilligend. Er ist klein, hat einen Spitzbart und flinke Augen.
Noch ein Schütze heute, denke ich, der auf mein ramponiertes Herz anlegt! Aber
dich billige Spottdrossel werde ich schon kriegen, du bist kein Georg! Scharf
sage ich: «Was ist der Sinn des Lebens, Herr Bauer?»
Arthur
sieht mich erwartungsvoll wie ein Pudel an. «Und?»
«Was,
und?»
«Wo
ist die Pointe? Sie erzählen doch einen Witz – oder nicht?»
«Nein»,
erwidere ich kühl. «Dies ist eine Rundfrage zum Heile meiner jungen Seele. Ich
stelle sie vielen Menschen, besonders solchen, die es wissen sollten.»
Arthur
greift in seinen Bart wie in eine Harfe. «Sie fragen doch nicht im Ernst, an
einem Montagnachmittag, mitten in der Hauptgeschäftszeit, so etwas
Blödsinniges, und wollen auch noch eine Antwort darauf haben?»
«Doch»,
sage ich. «Aber bekennen Sie nur gleich! Sie wissen es auch nicht! Sie, trotz
aller Ihrer Bücher!»
Arthur
gibt seinen Bart frei, um sich in den Locken zu wühlen. «Herrgott, was manche
Menschen für Sorgen haben! Erörtern Sie die Sache doch in Ihrem Dichterklub!»
«Im
Dichterklub gibt es nur poetische Verbrämungen dafür. Ich aber will die
Wahrheit wissen. Wozu existiere ich sonst und bin kein Wurm?»
«Wahrheit!»
Arthur meckert. «Das ist was für Pilatus! Mich geht das nichts an. Ich bin
Buchhändler, Gatte und Vater, das genügt mir.»
Ich
sehe den Buchhändler, Gatten und Vater an. Er hat einen Pickel rechts neben der
Nase. «So, das genügt Ihnen», sage ich schneidend.
«Das
genügt», erwidert Arthur fest. «Manchmal ist es schon zu viel.»
«Genügte
es Ihnen auch, als Sie fünfundzwanzig Jahre alt waren?»
Arthur
öffnet seine blauen Augen, so weit er kann. «Mit fünfundzwanzig? Nein. Damals
wollte ich es noch werden.»
«Was?»
frage ich hoffnungsvoll. «Ein Mensch?»
«Besitzer
dieser Buchhandlung, Gatte und Vater. Mensch bin ich sowieso. Fakir noch
nicht.»
Er
schwänzelt nach diesem harmlosen zweiten Schuß eilig davon, einer Dame mit
reichem Hängebusen entgegen, die einen Roman von Rudolf Herzog verlangt. Ich
blättere flüchtig in den Büchern über das Glück der Askese und lege sie rasch
beiseite.
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