E.M. Remarque
vulgären Irrtum mitmache, irgendeine Minna oder Anna
mit dem kühlen Geheimnis des Daseins zu verwechseln und anzunehmen, die Welt
ende, wenn Minna oder Anna einen anderen Karl oder Josef bevorzugen. Oder eine
Erna einen riesigen Säugling in englischem Kammgarn.»
Er
grinst. Ich sehe ihm kalt in sein verräterisches Auge.
«Ein
billiger Schuß, Heinrichs würdig!» sage ich. «Du schlichter Genießer des Erreichbaren!
Willst du mir einmal erklären, wozu du denn mit Leidenschaft Zeitschriften
liest, in denen es von unerreichbaren Sirenen, Skandalen aus der höchsten
Gesellschaft, Damen des Theaters und Herzensbrecherinnen im Film nur so
wimmelt?»
Georg
bläst mir abermals für dreihundert Mark Rauch in die Augen. «Das tue ich für
meine Phantasie. Hast du nie etwas von himmlischer und irdischer Liebe gehört?
Du hast doch erst kürzlich versucht, sie in deiner Erna zu vereinigen, und eine
schöne Lehre bekommen, du braver Kolonialwarenhändler der Liebe, der Sauerkraut
und Kaviar im selben Laden haben möchte! Weißt du denn immer noch nicht, daß
dann das Sauerkraut nie nach Kaviar, aber der Kaviar immer nach Sauerkraut
schmeckt? Ich halte sie weit auseinander, und du solltest das auch tun! Es
macht das Leben bequem. Und nun komm, wir wollen Eduard Knobloch peinigen. Er
serviert heute Schmorbraten mit Nudeln.»
Ich
nicke und hole wortlos meinen Hut. Georg hat mich, ohne es zu merken, schwer
angeschlagen – aber der Teufel soll mich holen, wenn ich es ihn merken lasse.
Als
ich
zurückkomme, sitzt Gerda Schneider im Büro. Sie trägt einen grünen Sweater,
einen kurzen Rock und große Ohrringe mit falschen Steinen. An die linke Seite
des Sweaters hat sie eine der Blumen aus Riesenfelds Bukett gesteckt, das
außerordentlich dauerhaft gewesen sein muß. Sie deutet darauf und sagt: «Merci!
Alles war neidisch. Das war ein Busch für eine Primadonna.»
Ich
sehe sie an. Da sitzt wahrscheinlich genau das, was Georg unter irdischer Liebe
versteht, denke ich – klar, fest, jung und ohne Phrasen. Ich habe ihr Blumen
geschickt, und sie ist gekommen, basta. Sie hat die Blumen so aufgefaßt, wie
ein vernünftiger Mensch es tun sollte. Anstatt langes Theater zu machen, ist
sie da. Sie hat akzeptiert, und jetzt ist eigentlich nichts mehr zu besprechen.
«Was
machst du heute nachmittag?» fragt sie.
«Ich
arbeite bis fünf. Dann gebe ich einem Idioten eine Nachhilfestunde.»
«Worin?
In Idiotie?»
Ich
grinse. «Wenn man es richtig ansieht, ja.»
«Das
wäre bis sechs. Komm nachher in den Altstädter Hof. Ich trainiere da.»
«Gut»,
sage ich, bevor ich nachdenke.
Gerda
steht auf. «Also dann ...»
Sie
hält mir ihr Gesicht hin. Ich bin überrascht. So viel hatte ich mit meiner
Blumensendung gar nicht beabsichtigt. Aber warum eigentlich nicht? Georg hat
wahrscheinlich recht: Liebesschmerz soll man nicht mit Philosophie bekämpfen –
nur mit einer anderen Frau. Vorsichtig küsse ich Gerda auf die Wange.
«Dummkopf!» sagt sie und küßt mich herzhaft auf den Mund. «Reisende Artisten
haben nicht viel Zeit übrig für Firlefanz. In zwei Wochen muß ich weiter. Also
bis heute abend.»
Sie
geht aufrecht mit ihren festen, kräftigen Beinen und den kräftigen Schultern
hinaus. Auf dem Kopf trägt sie eine rote Baskenmütze. Sie scheint Farben zu
lieben. Draußen bleibt sie neben dem Obelisken stehen und blickt auf unser
Golgatha. «Das ist unser Lager», sage ich.
Sie
nickt. «Bringt es was ein?»
«So
so – in diesen Zeiten ...»
«Und
du bist hier angestellt?»
«Ja.
Komisch, was?»
«Nichts
ist komisch», sagt Gerda. «Was sollte ich sonst sagen, wenn ich in der Roten
Mühle meinen Kopf von rückwärts durch die Beine stecke? Glaubst du, Gott hätte
das gewollt, als er mich erschuf? Also bis
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