E.M. Remarque
Garten alt
und groß. Die etwas makabre Ausstellung stört die Liebespaare nicht; im
Gegenteil, sie scheint sie zu besonderem Ungestüm anzufachen. Es ist erst zwei
Wochen her, daß ein Kaplan aus dem Dorf Halle, der wie alle Gottesmänner mit
den Hühnern aufzustehen gewohnt ist, morgens um sieben bei uns erschien, um
vier der kleinsten Hügelsteine für die Gräber von im Laufe des Jahres verstorbenen
barmherzigen Schwestern zu kaufen. Als ich ihn schlaftrunken in den Garten
führte, konnte ich gerade noch rechtzeitig ein rosa Höschen aus Kunstseide
entfernen, das wie eine Fahne am rechten Arm unseres allseitig polierten
Kreuzdenkmals flatterte und von einem begeisterten nächtlichen Paar vergessen
worden war. Das Leben zu säen an der Stätte des Todes hat sicher etwas im
weiten, poetischen Sinne Versöhnliches, und Otto Bambuss, der dichtende
Schulmeister unseres Klubs, hat, als ich ihm das erzählte, die Idee sofort
gestohlen und zu einer Elegie mit kosmischem Humor verarbeitet – aber sonst
kann es doch recht störend wirken, besonders wenn in der Nähe dann noch eine
leere Schnapsflasche in der frühen Sonne glänzt.
Ich
übersehe
die Ausstellung. Sie wirkt gefällig, soweit man das von Leichensteinen sagen
kann. Die beiden Kreuze stehen schimmernd auf ihren Sockeln in der Morgensonne,
Symbole der Ewigkeit, geschliffene Teile der einst glühenden Erde, erkaltet,
poliert und jetzt bereit, für immer den Namen irgendeines erfolgreichen
Geschäftsmannes oder reichen Schiebers für die Nachwelt aufzubewahren – denn
selbst ein Gauner will nicht gern ganz ohne Spur von diesem Planeten
verschwinden.
«Georg»,
sage ich, «wir müssen aufpassen, daß dein Bruder unser Werdenbrücker Golgatha
nicht an ein paar Mistbauern verkauft, die erst nach der Ernte zahlen. Laß uns
an diesem blauen Tag, unter Vogelgesang und Kaffeegeruch, einen heiligen Schwur
schwören: Die beiden Kreuze werden nur gegen Barzahlung verkauft!»
Georg
schmunzelt. «Es ist nicht ganz so gefährlich. Wir haben unsern Wechsel in drei
Wochen einzulösen. Solange wir das Geld früher hereinbekommen, haben wir
verdient.»
«Was
verdient?» erwidere ich. «Eine Illusion – bis zum nächsten Dollarkurs.»
«Du
bist manchmal zu geschäftlich», Georg zündet sich umständlich eine Zigarre im
Werte von fünftausend Mark an. «Anstatt zu jammern solltest du lieber die
Inflation als umgekehrtes Symbol des Lebens auffassen. Jeder gelebte Tag ist
ein Tag Dasein weniger. Wir leben vom Kapital, nicht von den Zinsen. Jeden Tag
steigt der Dollar; aber jede Nacht fällt der Kurs deines Lebens um einen Tag.
Wie wäre es mit einem Sonett darüber?»
Ich
betrachte den selbstgefälligen Sokrates der Hakenstraße. Leichter Schweiß ziert
seinen kahlen Kopf wie Perlen ein helles Kleid. «Es ist erstaunlich, wie
philosophisch man sein kann, wenn man nachts nicht allein geschlafen hat», sage
ich.
Georg
zuckt nicht mit der Wimper. «Wann sonst?» erklärt er ruhig. «Philosophie soll
heiter sein und nicht gequält. Metaphysische Spekulationen damit zu verknüpfen
ist dasselbe, wie Sinnenfreude mit dem, was die Mitglieder eures Dichterklubs
ideale Liebe nennen. Es wird ein unerträglicher Mischmasch.»
«Ein
Mischmasch?» sage ich, irgendwo getroffen. «Sieh einmal an, du Kleinbürger des
Abenteuers! Du Schmetterlingssammler, der alles auf Nadeln spießen will! Weißt
du nicht, daß man tot ist ohne das, was du Mischmasch nennst?»
«Nicht
die Spur. Ich halte nur die Dinge auseinander.»
Georg
bläst mir den Rauch seiner Zigarre ins Gesicht.
«Ich
leide lieber würdig und mit philosophischer Schwermut an der Flüchtigkeit des
Lebens, als daß ich den
Weitere Kostenlose Bücher