E.M. Remarque
geschlossenen Hause gesehen – Tiere sind
dagegen Götter. Wo ist die Seele bei den Idioten geblieben? Läßt sie sich teilen?
Oder hängt sie wie ein unsichtbarer Ballon über den armen murmelnden Schädeln?»
Wernicke
macht eine Bewegung, als scheuche er ein Insekt fort.
«Gut»,
sage ich. «Das ist eine Frage für Bodendiek, der sie mit Leichtigkeit lösen
wird. Bodendiek kann alles lösen mit dem großen Unbekannten Gott, mit Himmel
und Hölle, dem Lohn für die Leidenden und der Strafe für die Bösen. Niemand hat
je einen Beweis dafür gehabt – nur der Glaube macht selig, nach Bodendiek. Wozu
haben wir dann aber Verstand, Kritik und die Sucht nach Beweisen bekommen? Um
sie nicht zu brauchen? Ein sonderbares Spiel für den großen Unbekannten! Und
was ist die Ehrfurcht vor dem Leben? Angst vor dem Tode? Angst, immer Angst!
Warum? Und warum können wir fragen, wenn es keine Antwort gibt?»
«Fertig?»
fragt Wernicke.
«Nein
– aber ich werde Sie nicht weiter fragen.»
«Gut.
Ich kann Ihnen auch nicht antworten. Soviel wissen Sie ja wenigstens, oder
nicht?»
«Natürlich.
Warum sollten gerade Sie es können, wenn alle Bibliotheken der Welt nur
Spekulationen als Antwort haben?»
Der
Käfer ist auf seinem zweiten Rundflug abgestürzt. Er krabbelt wieder auf die
Beine und beginnt den dritten. Seine Flügel sind wie polierter blauer Stahl. Er
ist eine schöne Zweckmäßigkeitsmaschine; aber Licht gegenüber ist er wie ein
Alkoholiker gegenüber einer Flasche Schnaps.
Wernicke
gießt den Rest des Mosels in die Gläser. «Wie lange waren Sie im Kriege?»
«Drei
Jahre.»
«Merkwürdig!»
Ich
antworte nicht. Ich weiß ungefähr, was er meint, und habe keine Lust, das noch
einmal durchzukauen. «Glauben Sie, daß der Verstand zur Seele gehört?» fragt
Wernicke statt dessen.
«Das
weiß ich nicht. Aber glauben Sie, daß die sich beschmutzenden Untertiere, die
in der geschlossenen Abteilung herumkriechen, noch eine Seele haben?»
Wernicke
greift nach seinem Glas. «Für mich ist das alles einfach», sagt er. «Ich bin
ein Mann der Wissenschaft. Ich glaube gar nichts. Ich beobachte nur. Bodendiek
dagegen glaubt a piori! Dazwischen flattern Sie unsicher umher. Sehen Sie den
Käfer da?»
Der
Käfer ist bei seinem fünften Ansturm. Er wird bis zu seinem Tode so
weitermachen. Wernicke dreht die Lampe ab. «So, dem wäre geholfen.»
Die
Nacht kommt groß und blau durch die offenen Fenster. Sie weht herein mit dem
Geruch der Erde, der Blumen und dem Funkeln der Sterne. Alles, was ich gesagt
habe, erscheint mir sofort entsetzlich lächerlich. Der Käfer zieht noch eine
brummende Runde und steuert dann sicher zum Fenster hinaus. «Chaos», sagt
Wernicke. «Ist es wirklich Chaos? Oder ist es nur eins für uns. Haben Sie schon
einmal darüber nachgedacht, wie die Welt wäre, wenn wir einen Sinn mehr
hätten?»
«Nein.»
«Aber
mit einem Sinn weniger?»
Ich
denke nach. «Man wäre blind oder taub; oder könnte nichts schmecken. Es wäre
ein großer Unterschied.»
«Und
mit einem mehr? Warum sollen wir immer gerade auf fünf Sinne beschränkt
bleiben? Warum können wir nicht vielleicht eines Tages sechs entwickeln? Oder
acht? Oder zwölf? Würde die Welt dann nicht völlig anders sein? Vielleicht
verschwände beim sechsten schon der Begriff Zeit. Oder der des Raumes. Oder der
des Todes. Oder der des Schmerzes. Oder der der Moral. Sicher der des heutigen
Lebensbegriffes. Wir wandern mit ziemlich beschränkten Organen durch unser
Dasein. Ein Hund hört besser als jeder Mensch. Eine Fledermaus fühlt ihren Weg
blind durch alle Hindernisse. Ein Schmetterling hat einen Radioempfänger in
sich und fliegt damit über viele Kilometer direkt auf sein Weibchen zu.
Zugvögel sind uns in der Orientierung weit überlegen. Schlangen hören
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