E.M. Remarque
anderen. Kommen Sie!»
Wir sitzen im Café
Central – Georg, Willy und ich. Ich wollte heute nicht allein zu Hause bleiben.
Wernicke hat mir eine Abteilung der Irrenanstalt gezeigt, die ich noch nicht
kannte – die der Kriegsverletzten. Es sind die Kopfschüsse, die Verschütteten
und die Zusammengebrochenen. Inmitten des milden Sommerabends stand diese
Abteilung da wie ein finsterer Unterstand im Gesang der Nachtigallen ringsum.
Der Krieg, der überall bereits fast vergessen ist, geht in diesen Räumen immer
noch weiter. Die Explosionen der Granaten sind immer noch in diesen armen
Ohren, die Augen spiegeln noch wie vor fünf Jahren das fassungslose Entsetzen,
Bajonette bohren sich ohne Unterlaß weiter in weiche Bäuche, Tanks zermalmen
jede Stunde schreiende Verwundete und pressen sie flach wie Flundern, das
Donnern der Schlacht, das Krachen der Handgranaten, das Splittern der Schädel,
das Röhren der Minen, das Ersticken in zusammenstürzenden Unterständen ist
durch eine schreckliche schwarze Magie hier präserviert worden und tobt nun
schweigend in diesem Pavillon zwischen Rosen und Sommer weiter. Befehle werden
gegeben, und unhörbaren Befehlen wird gehorcht, die Betten sind Schützengräben
und Unterstände, immer aufs neue werden sie verschüttet und ausgegraben, es
wird gestorben und getötet, erwürgt und erstickt, Gas treibt durch die Räume,
und Agonien von Angst lösen sich in Brüllen und Kriechen und entsetztem Röcheln
und Weinen und oft nur in Kauern und Schweigen in einer Ecke, so klein geduckt
wie nur möglich, das Gesicht zur Wand, fest angepreßt …
«Aufstehen!»
brüllen plötzlich ein paar jugendliche Stimmen hinter uns. Eine Anzahl Gäste
schnellt schneidig von den Tischen hoch. Die Cafékapelle spielt «Deutschland,
Deutschland über alles». Es ist das viertemal heute abend. Es ist nicht die
Kapelle, die so nationalistisch ist; auch nicht der Wirt. Es ist eine Anzahl
junger Radaubrüder, die sich wichtig machen wollen. Alle halbe Stunde geht
einer zur Kapelle und bestellt die Nationalhymne. Er geht hin, als zöge er in
die Schlacht. Die Kapelle wagt nicht, sich zu widersetzen, und so erklingt das
Deutschlandlied anstatt der Ouvertüre zu «Dichter und Bauer». «Aufstehen!»
schallt es dann jedesmal von allen Seiten, denn beim Klang der Nationalhymne
erhebt man sich von den Sitzen, besonders, wenn sie zwei Millionen Tote, einen
verlorenen Krieg und die Inflation eingebracht hat.
«Aufstehen!»
schreit mir ein etwa siebzehnjähriger Lümmel zu, der bei Ende des Krieges nicht
mehr als zwölf Jahre alt gewesen sein kann.
«Leck
mich am Arsch», erwidere ich, «und geh zurück in die Schule.»
«Bolschewist!»
schreit der Junge, der sicher noch nicht einmal weiß, was das ist. «Hier sind
Bolschewisten, Kameraden!»
Es
ist der Zweck dieser Flegel, Radau zu machen. Sie bestellen die Nationalhymne
immer wieder, und immer wieder steht eine Anzahl Leute nicht auf, weil es ihnen
zu dumm ist. Mit leuchtenden Augen stürzen die Schreihälse dann heran und
suchen Streit. Irgendwo sitzen ein paar abgedankte Offiziere, dirigieren sie
und fühlen sich patriotisch.
Ein
Dutzend steht jetzt um unsern Tisch herum. «Aufstehen, oder es passiert was!»
«Was?»
fragt Willy.
«Das
werdet ihr bald sehen! Feiglinge! Vaterlandsverräter! Auf!»
«Geht
vom Tisch weg», sagt Georg ruhig. «Glaubt ihr, wir brauchen Befehle von
Minderjährigen?»
Ein
etwa dreißigjähriger Mann schiebt sich durch die Gesellschaft. «Haben Sie
keinen Respekt vor Ihrer Nationalhymne?»
«Nicht
in Kaffeehäusern, wenn damit Krach provoziert werden soll», erwidert Georg.
«Und nun lassen Sie uns mit Ihren Albernheiten in
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