Emerald: Hörspiel
zwanzig Morum Cadi, die Gabriel im Tal gesehen hatte. Sie stellte sich vor, wie sie die Hütte auseinandernahmen, die Geheimtür hinter dem Kamin fanden und dann einer nach dem anderen in den Gang traten und mit ihren gelben Augen die Dunkelheit absuchten …
Ihr war klar, dass solche Gedanken nicht besonders hilfreich waren, aber sie konnte sie einfach nicht verdrängen. Was sie schließlich aus ihren Grübeleien riss, war Gabriel, der weitersprach und etwas beschrieb, das wie unsichtbare Hände in die Brust der Menschen griff und Herz und Lungen zerquetschte. Kate erkannte, dass er von dem Schrei der Kreischer sprach.
»Aber es ist nur eine Illusion«, sagte er. »Der Schmerz kommt allein aus eurem Geist.«
»Was?!« Die Heftigkeit ihrer Wut überraschte sie selbst. »Wollen Sie damit sagen, dass wir uns das nur eingebildet
haben? Dass sich die Kinder am Damm die Sache nur eingebildet haben?«
»Das habe ich nicht gesagt«, widersprach der Mann. »Der Schrei weckt Panik und Angst in deinem Geist. Und diese Angst ist so groß, dass dein Körper dir den Dienst versagt. Das ist der Schmerz, den du fühlst. Er ist wirklich, aber er kommt aus deinem eigenen Geist.«
»Wie kann man sich dagegen wehren?«, wollte Michael wissen.
»Indem man die Kreischer tötet«, sagte Emma. »Das ist doch logisch.«
»Ihr müsst euch darüber klar werden, dass der Schrei an sich keine Macht über euch hat«, erklärte Gabriel. »Dann müsst ihr lernen, eure Angst zu kontrollieren. Das ist die einzige Möglichkeit, über die Kreischer zu triumphieren. Außer, sie zu töten«, fügte er hinzu.
Kate wollte anmerken, dass es womöglich viel einfacher war, seine »Angst zu kontrollieren«, wenn man ein Schwert schwingender, Wölfe schlachtender Riese war, aber Michael machte sich bereits Notizen in seinem Tagebuch. »Angst … kontrollieren«, murmelte er. Und so ließ sie es bleiben. Stattdessen stellte sie die Frage, die ihr seit letzter Nacht keine Ruhe mehr ließ.
»Glauben Sie, dass es jemanden gibt, der hinter der Gräfin steht und die Fäden zieht? Wir haben sie von einem Meister sprechen hören.«
»Das stimmt«, sagte Michael. »Sie und dieser Sekretär haben beide von ihm geredet. Ich habe es mir notiert.«
Gabriel schüttelte den Kopf. »Von einem Meister habe ich noch nie gehört. Wir werden die weise Frau fragen. Es ist möglich, dass sie …«
Er verstummte und drehte sich um, spähte angestrengt in den Tunnel. Alles an ihm war wachsam, zitterte förmlich vor Anspannung. Auch Kate blickte in die Dunkelheit, aber der Tunnel lag so still und reglos da wie ein Grab.
»Vielleicht sind es diese Kobold-Fledermaus-Leute«, flüsterte Michael.
»Still.« Gabriel reichte Emma seine Laterne und schlug das Leinentuch auseinander, in das der lange Gegenstand gehüllt war, den er aus der Hütte mitgenommen hatte. Anders als Kate erwartet hatte, war es kein Schwert. Es war eher eine extrem lange Machete. Die Klinge war am Griff schlank und verbreiterte sich allmählich zu einer beachtlichen Ausdehnung. Die Waffe war aus einem dunklen Metall geschmiedet und die Ränder schimmerten im Lampenlicht.
Gabriel trat einen Schritt vor.
Immer noch rührte sich nichts.
Kate wollte gerade fragen, was er zu hören geglaubt hatte, als sich der Kreischer aus der Dunkelheit schälte. Er machte kein Geräusch, sondern griff einfach mit erhobenem Schwert und glühend gelben Augen an. Später dachte Kate, dass diese Stille am schlimmsten war, denn so schrecklich die Schreie der Kreischer waren, so waren sie doch eine Warnung und gaben ihnen die Gelegenheit zur Flucht. Jetzt war es zu spät. Sie konnten nur dastehen und warten, bis das Schwert sie niederstreckte.
Es gab ein lautes metallisches Klirren, das von den Felswänden widerhallte, als Gabriels Klinge den Schwerthieb abfing. Das Schwert zersplitterte. Und einen Moment später lag der Kreischer in zwei Hälften zerteilt am Boden. Es zischte und ein widerlich stinkender Rauch quoll aus dem Leichnam. Kate schaute zu Gabriel. Seine Machete rauchte ebenfalls. Er hatte
den Kreischer samt seinem Schwert sauber mittendurchgeschnitten.
»Lauft«, befahl er ihnen.
Sie gehorchten und rannten so schnell wie noch nie in ihrem Leben. Durch gewundene Gänge, treppauf, treppab, um Ecken und Biegungen. Gabriel trieb sie unbarmherzig an. Immer wieder gabelte sich der Tunnel, aber Gabriel schien den Weg genau zu kennen.
»Links … rechts … durch diese Tür, macht schon!« Es dauerte nicht lang, da
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