Emerald: Hörspiel
niemals ›bitte‹.«
»Tue ich wohl.«
»Nein«, sagte Kate, »tust du nicht.«
»Ich habe gedacht, sie weiß überhaupt nicht, was das Wort bedeutet«, bemerkte Michael.
»Ach, seid doch still«, murmelte Emma.
»Also schön«, sagte der Mann und seine tiefe, polternde Stimme brachte sie zum Schweigen. »Ihr habt die Wahrheit gesagt. Ihr verdient den gleichen Respekt. Was möchtet ihr wissen? «
Kate hielt es für das Wichtigste, herauszufinden, wer dieser Mann war.
»Wie heißen Sie?«
»Gabriel Kitigna Tessouat.«
Michael kicherte. »Echt?«
Gabriel schaute ihn an.
»Das ist ein besonders schöner Name«, beeilte Michael sich zu sagen.
Kate fragte, ob er aus Cambridge Falls käme.
Er schüttelte den Kopf. »Vor etwa hundertfünfzig Jahren gab es in diesen Bergen zwei menschliche Siedlungen. Cambridge Falls. Und meine Leute. Die Anishinaabe. Es ist überliefert, dass eines Tages ein Zauberer in unser Dorf kam. Er erklärte uns, dass sich auf der ganzen Welt die magischen Reiche zurückziehen würden. Er meinte, dass der Rest der Welt nicht länger in der Lage sein würde, die Magie zu sehen – und uns. Man würde vergessen, dass wir je existiert hatten. Wir und die Menschen aus Cambridge Falls hatten die Wahl. Wir konnten umsiedeln und irgendwo in der wirklichen Welt noch einmal neu anfangen, oder wir konnten in unseren Bergen bleiben und wären für alle Zeit verborgen. Wir entschieden uns für Letzteres.«
Er schwieg und schenkte sich noch einen Becher Milch ein. Emma beugte sich vor und flüsterte Kate und Michael zu: »Ich wette, dieser Zauberer war Dr. Pym. Daher weiß Gabriel auch, wie er aussieht.«
Kate brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. Sie hatte schon die ganze Zeit den Eindruck gehabt, dass dieser Mann aus einer fremden, älteren Welt kam. Jetzt kannte sie den Grund. Sie fragte, warum er an jenem Tag am Damm gewesen war.
Gabriel erklärte, dass er regelmäßig nach Cambridge Falls kam, um die Gräfin auszuspionieren. Er hatte gesehen, wie die Hexe und ihr Sekretär das Anwesen verließen, war neugierig geworden und hatte einen Kreischer getötet und dessen Kleidung angelegt. Dann war er den beiden zum Damm gefolgt. Dort musste er miterleben, wie die Gräfin einem Kreischer befahl,
ein kleines Kind über den Rand des Damms zu halten. Ohne zu überlegen, war er mit erhobenem Schwert auf sie zugestürmt.
»Und dann hat sie einen Zauber über Sie geworfen«, sagte Emma. »Ansonsten hätten Sie sie bestimmt getötet. Das weiß ich genau.«
»Als ich aufwachte, befand ich mich in einem Verlies«, sagte der Mann. Sein Gesicht wurde düster bei der Erinnerung. »Es gab nirgends Licht, und anfangs wusste ich nicht, wo ich war. Dann merkte ich, dass sich alles bewegte, und ich hörte das Klatschen des Wassers.«
»Das Schiff!«, rief Emma. »Abraham hat uns davon erzählt. Er sagte, es sei ein Gefängnis, in dem man Leute foltert und irgendwelche Experimente mit ihnen anstellt.«
»Es ist kein Gefängnis«, sagte Gabriel. »Es ist ein Käfig. Ein Käfig für ein Ungeheuer.«
Es wurde totenstill in der Hütte.
»Ich rief, um herauszufinden, ob noch jemand da wäre. Niemand antwortete. Aber ich glaubte, unter mir etwas zu hören. Der Gestank war unerträglich; es roch nach Tod.« Er schloss die Augen, als ob er den Geruch hinwegzwingen müsste. Nach ein paar Sekunden sprach er weiter. »Der Boden besteht aus einem Eisengitter, und ich konnte sehen, dass unter den Zellen auf meiner Ebene ein riesiger Käfig verlief. Wieder rief ich; wieder bekam ich keine Antwort. Dann schwieg ich und lauschte. Und dann hörte ich, tief unten in der Dunkelheit, ein rasselndes Atmen, das Schaben von Krallen und eine flüsternde Stimme: ›Bald … bald …‹ Und da wurde mir klar, was die Kreatur unter mir schon lange wusste: Ich war kein Gefangener. Ich war Futter.«
Wenn es vorher schon ruhig gewesen war, so war die Stille, die diesen Worten folgte, fast schmerzhaft zu nennen.
Endlich sagte Emma mit einem hoffnungsvollen Unterton. »Vielleicht war es ein Kreischer.«
»Nein, das war etwas anderes.«
»Aber warum sollte die Gräfin es in einem Schiff halten? Warum nicht unter dem Haus?«, überlegte Kate.
Der Mann zuckte mit den Schultern.
»Ich wette, es leidet an Hydrophobie«, sagte Michael.
Kate bat ihn zu erklären, was das bedeutete. Michael hüstelte und schob sich die Brille zurecht. Emma stöhnte auf. Bestimmt würde er ihnen gleich irgendetwas Todlangweiliges erzählen, das
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