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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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lehren, so kann man sich wol denken, daß ich mich eben so wenig beeilen werde, ihn in die Kunst, Noten zu lesen, einzuweihen. Wir wollen seinem Gehirne jede allzu mühsame Aufmerksamkeit ersparen und uns nicht beeilen, seinen Geist an conventionelle Zeichen zu fesseln. Ich will einräumen, daß dies mit Schwierigkeit verbunden zu sein scheint; denn wenn die Kenntniß der Noten zum Singen zunächst auch nicht nothwendiger erscheint als die der Buchstaben zum Reden, so ist hierbei doch der Unterschied vorhanden,daß wir beim Reden nur unsere eigenen, beim Singen dagegen nur fremde Ideen zum Ausdruck bringen, und um letztere richtig wiederzugeben, muß man sie doch lesen können.
    Indeß kann man sie erstens auch hören, anstatt sie zu lesen, und ein Gesang haftet im Ohre noch weit treuer als im Auge. Zum richtigen Verständniß der Musik reicht es ferner nicht aus, dieselbe nur wiederzugeben, man muß auch componiren können; und lernt man beides nicht zu gleicher Zeit, so wird man sie nie gut verstehen. Uebt euren kleinen Musiker zunächst in der Composition ganz regelmäßiger und tactmäßiger Tonsätze, darauf laßt sie ihn durch einen höchst einfachen Uebergang unter einander verbinden und endlich ihre verschiedenen Verhältnisse zu einander durch correcte Eintheilung bezeichnen, was durch die richtige Wahl des Rhythmus und der Pausen geschieht. Vor Allem aber verschont ihn mit gekünstelten, leidenschaftlichen und zu gefühlvollen Gesängen. Stets sei die Melodie einfach und singbar, stets werde sie aus den Haupttönen der betreffenden Tonart gebildet und stets klinge der Grundton derartig hindurch, daß er ihn hindurchzuhören und ohne Mühe zu begleiten vermag, denn um Stimme und Ohr zu bilden, darf er nie ohne Klavierbegleitung singen.
    Um die Töne besser zu markiren, articulirt man sie bei der Aussprache; daher stammt die Sitte, die Noten beim Singen durch gewisse Silben zu bezeichnen. Um die einzelnen Töne zu unterscheiden, muß man ihnen und ihren Intervallen bestimmte Namen geben; daher die Namen der Intervalle und auch die Buchstaben des Alphabets, mit denen man die Tasten des Klaviers und die Noten der Tonleiter zu bezeichnen pflegt. C und A bezeichnen feste, unveränderliche, stets durch dieselben Tasten hervorgebrachte Töne. Mit ut und la ist es schon anders. Ut ist regelmäßig der Grundton einer Durtonart oder der Mittelton einer Molltonart. La jedoch ist beständig der Grundton einer Molltonart oder die Sexte einer Durtonart. So bezeichnen demnach die Buchstaben die unveränderlichen Grenzen der Verhältnisse unseres musikalischenSystems, während die Silben die homologen Grenzpunkte der ähnlichen Verhältnisse in den verschiedenen Tonarten markiren. Die Buchstaben bezeichnen die Tasten des Klaviers und die Silben die Intervallen der Tonleiter. Die französischen Musiker haben sich sonderbarer Weise an diese strenge Unterscheidung nicht im Geringsten gekehrt; sie haben die Bedeutung der Silben mit der Bedeutung der Buchstaben vermischt und verschmolzen, und indem sie dadurch die Zeichen der Tasten unnützer Weise verdoppelten, haben sie keine übrig gelassen, welche nur zur Bezeichnung der Töne der Tonleiter dienen könnten. So ist es gekommen, daß für sie ut und C stets eins und dasselbe ist; und doch sind es nicht identische Begriffe und dürfen es nicht sein, denn wozu sollte dann C dienen? Auch bereitet ihre Art zu solfeggiren erhebliche Schwierigkeiten, ohne irgend welchen Nutzen zu schaffen oder dem Geiste irgend eine klare Idee zu geben, da nach dieser Methode z.B. die beiden Silben ut und mi eben sowol eine große als auch eine kleine, eine übermäßige oder verminderte Terz bedeuten. Welch seltsamer Unstern trägt wol die Schuld, daß das Land, in welchem man in der ganzen Welt die schönsten Bücher über Musik verfaßt, gerade dasjenige ist, in welchem man sie am schwersten lernt?
    Laßt uns bei unserm Zöglinge eine einfachere und klarere Methode zur Anwendung bringen. Für ihn sollen nur zwei Tonarten existiren, deren Verhältnisse stets die nämlichen sind und stets durch dieselben Silben bezeichnet werden. Ob er nun singe oder irgend ein Instrument spiele, so soll er seine Tonleiter von jedem der zwölf Töne aus, die ihm als Grundton dienen können, zu bilden verstehen, und ob man nun aus D oder C oder G u.s.w. modulire, so soll, je nach der Tonart, das Finale stets ut oder la sein. Auf diese Weise wird er auch immer verstehen. Die für einen richtigen Gesang und ein

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