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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Körper Besorgniß einflößen können, die sich bewegen, ist uns deshalb ein wachsames Ohr sehr vorteilhaft, um aus dem Eindrucke, der auf uns ausgeübt wird, beurtheilen zu können, ob der ihn verursachende Körper groß oder klein, entfernt oder nahe, ob seine Bewegung stark oder schwach ist. Die in Schwingung gerathene Luft findet einen Widerstand, wird zurückgeworfen und bildet dadurch ein Echo, welches den Eindruck wiederholt und uns den schallenden oder klingenden Körper an einem anderen Orte vernehmen läßt als dort, wo er sich wirklich befindet. Wenn man auf einer Ebene oder in einem Thale das Ohr auf den Boden legt, so hört man die Stimme der Menschenund den Tritt der Pferde schon aus weit größerer Entfernung, als wenn man aufrecht stehen bleibt.
    Wie wir das Gesicht mit dem Gefühl verglichen haben, so ist es gut, es in gleicher Weise mit dem Gehör zu vergleichen und zu untersuchen, welcher von den beiden Eindrücken, vorausgesetzt daß sie beide gleichzeitig von dem nämlichen Körper ausgehen, am frühsten bei seinem Organe anlange. Gewahrt man den Blitz einer Kanone, so kann man dem Schusse noch entgehen, hört man jedoch den Knall, so bleibt dazu keine Zeit mehr übrig, die Kugel ist schon da. Die Entfernung eines Gewitters läßt sich nach der Zeit, die zwischen Blitz und Donner verstreicht, bestimmen. Richtet es so ein, daß das Kind mit allen diesen Erfahrungen vertraut werde; daß es diejenigen, die ihm zugänglich sind, selbst mache und die übrigen durch Folgerungen finde. Es wäre mir jedoch hundertmal lieber, wenn es sie gar nicht kennen würde, als daß ihr sie ihm erst sagen müßtet.
    Wir haben ein Organ, welches dem Gehöre genau entspricht, nämlich das Sprachorgan; dagegen besitzen wir kein dem Gesichtssinne entsprechendes und sind deshalb nicht im Stande die Farben wie die Töne wiederzugeben. Dadurch ist uns ein weiteres Mittel an die Hand gegeben, den ersteren Sinn auszubilden, indem wir das active und passive Organ sich gegenseitig üben lassen.
    Wir können beim Menschen dreierlei Stimmen unterscheiden, nämlich die sprechende oder articulirte, die singende oder melodische und die pathetische oder accentuirte, welche den Leidenschaften als Sprache dient und den Gesang und die Rede beseelt. Das Kind besitzt diese dreierlei Stimmen eben so gut wie der Erwachsene, obgleich ihm das Vermögen fehlt, sie in gleicher Weise zu vereinen; es hat, wie wir, das Lachen, das Schreien, die Klage, den Ausruf und das Seufzen, allein es versteht nicht, die Modulationen der beiden anderen Stimmen damit zu verbinden. Diejenige Musik wird die vollkommenste sein, welche diese drei Stimmen am besten vereinigt. Zu solcher Musik sind die Kinder unfähig; ihrem Gesange fehlt es immer an Seele. In gleicher Weise fehlt es ihrer Sprache beider sprechenden Stimme an dem Accente. Sie schreien, aber accentuiren nicht, und da in ihrer Rede die Betonung zurücktritt, so entbehrt ihre Stimme des Nachdrucks. Unser Zögling wird noch schlichter, noch einfacher reden, weil die Leidenschaften in ihm noch nicht erwacht sind und also auch ihre Stimme nicht mit der seinigen vermischen können. Verlangt deshalb nicht von ihm, daß er Rollen aus Trauerspielen oder Lustspielen vortragen soll, noch unterrichtet ihn im sogenannten Declamiren. Er wird viel zu vernünftig sein, um Dinge, die er nicht verstehen kann, zu betonen, und um danach zu streben, Gefühle, die sich noch nie in ihm geregt haben, zum Ausdruck zu bringen.

    Haltet ihn an, einfach und deutlich zu reden, richtig zu articuliren, genau und ohne Ziererei auszusprechen, lehrt ihn den grammatikalischen Accent und die Prosodie kennen und befolgen, beständig laut genug sprechen, um verstanden zu werden, aber nie lauter, als durchaus nöthig ist, ein Fehler, der bei den in öffentlichen Anstalten erzogenen Kindern sehr häufig vorkommt: kurz, duldet nach jeder Richtung hin nichts Überflüssiges.
    Lasset euch ferner angelegen sein, beim Gesange seine Stimme rein, gleichmäßig, geschmeidig und wohlklingend, sein Ohr für Tact und Harmonie empfänglich zu machen, aber auch nicht mehr. Die die Naturlaute nachahmende und theatralische Musik ist für sein Alter noch nicht geeignet; ich wünschte nicht einmal, daß er Worte sänge; wollte er solche durchaus singen, so würde ich mich bemühen, besondere Lieder für ihn zu dichten, die für sein Alter interessant und eben so einfach wie seine Ideen wären.
    Hatte ich wenig Eile, ihm die Buchstabenschrift lesen zu

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