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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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ihren wahrnehmbaren Beziehungen auf seinen Nutzen, seine Sicherheit, seine Erhaltung und seinWohlbefinden schätzen. Deshalb muß das Eisen in seinen Augen einen weit höheren Werth haben als das Gold, und das Glas einen höheren als der Diamant. Eben so steht bei ihm ein Schuhmacher und ein Maurer in weit höherer Achtung als ein Lempereur, ein le Blanc und alle Juweliere Europas; vor Allem aber ist ein Kuchenbäcker in seinen Augen eine höchst wichtige Persönlichkeit, und er würde keinen Anstand nehmen, die ganze Academie der Wissenschaften für den geringsten Zuckerbäcker der Rue des Lombards dahin zu geben. Goldarbeiter, Graveure, Vergolder, Sticker sind nach seinem Dafürhalten nur Faulenzer, die mit völlig unnützen Spielereien die Zeit verlieren; selbst der Uhrmacherkunst legt er keinen sonderlichen Werth bei. Das glückliche Kind genießt die Zeit, ohne ihr Sklave zu sein; es wendet sie nützlich an, obwol es ihren Werth nicht kennt. Das Schweigen der Leidenschaften, in Folge dessen ihm die Zeit stets gleichmäßig verfließt, ersetzt ihm ein Kunstwerk, durch welches er dieselbe nach Bedürfniß messen und eintheilen kann. [8] Als ich von Emil’s Uhr redete, und eben so als ich erzählte, er hätte geweint, stellte ich ihn mir, um Nutzen zu stiften und mich verständlich zu machen, als ein gewöhnliches Kind vor; denn mein wirklicher Emil, der ein von allen übrigen so verschiedenes Kind ist, würde mir in keiner Beziehung als Beispiel dienen können.
    Es gibt eine nicht weniger natürliche und außerdem noch vernünftigere Ordnung und Reihenfolge, bei welcher man die Künste nach ihren notwendigen Beziehungen zu einander betrachtet, indem man den unabhängigsten den ersten, und denjenigen, welche von einer größeren Anzahl anderer abhängen, den untersten Rang einräumt. Diese Ordnung, welche uns zu wichtigen Betrachtungen über die in der allgemeinen menschlichen Gesellschaft herrschende Veranlassung gibt, ist der vorigen ähnlich und muß sich dieselbe Verdrehung in der Schätzung der Menschen gefallenlassen, so daß also die Verarbeitung der Rohstoffe in den Händen solcher Gewerke liegt, denen dafür keine Ehre zu Theil wird und die dadurch nur geringen Gewinn erzielen, während jede Handarbeit desto mehr Ehre und Gewinn einerntet, je mehr Hände daran betheiligt sind. Ich will hier nicht untersuchen, ob es wirklich wahr ist, daß der Gewerbefleiß bei den feineren Künsten, welche an diese Stoffe die letzte Feile legen, mehr Geschicklichkeit voraussetzt und eine höhere Belohnung verdiene, als bei der ersten Bearbeitung, welche sie zum Gebrauche der Menschen tauglich macht; aber so viel behaupte ich, daß die Kunst, deren Erzeugnisse am verbreitetsten und am unentbehrlichsten sind, unstreitig in jeder Beziehung die höchste Achtung verdient, und daß diejenige, welche am wenigsten auf die Unterstützung anderer Künste angewiesen ist, sie in noch höherem Grade verdient als die untergeordneten, weil sie freier und nahezu unabhängig ist. Dies sind die wahren Regeln zur Würdigung der Künste und des Gewerbefleißes; alles Uebrige beruht auf Willkür und ist von Vorurtheilen abhängig.
    Die erste und ehrwürdigste aller Künste ist der Ackerbau; der Schmiedekunst würde ich den zweiten Rang, dem Zimmerhandwerke den dritten einräumen, und so fort. Ein Kind, welches durch die allgemeinen Vorurtheile noch nicht verführt ist, wird genau eben so urtheilen. Zu welchen wichtigen Betrachtungen in Bezug auf diesen Punkt wird unser Emil nicht in seinem Robinson Veranlassung finden! Zu welchen Gedanken wird er angeregt werden, wenn er sieht, daß sich die Künste nur dadurch vervollkommnen, daß sie sich theilen und ihre Werkzeuge nach allen Richtungen hin bis ins Unendliche vervielfältigen? Er wird sich sagen: »In den Erfindungen aller dieser Leute spricht sich eine große Thorheit aus; fast scheint es, sie fürchteten sich, von ihren Armen und Fingern Gebrauch zu machen, so viel Werkzeuge klügeln sie aus; um jener entbehren zu können. Um eine einzige Kunst zu betreiben, sehen sie sich auf die Unterstützung tausend anderer angewiesen. Jeder einzelne Handwerker hat eine ganze Stadt nöthig. Was meinen Kamerad und mich dagegen anlangt,so bieten wir alle unsere Geisteskräfte nur zur Erhöhung unserer Geschicklichkeit auf. Wir verfertigen uns Werkzeuge, welche wir überall bei uns tragen können. Alle diese Leute, welche hier in Paris so stolz auf ihre Talente sind, würden auf unserer Insel nichts

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