Emil oder Ueber die Erziehung
Magazin für seine Insel anzulegen, wird beim Lernen größeren Eifer entfalten als der Lehrer beim Unterrichten. Es wird Alles, was nützlich ist, wissen wollen, aber auch nur dies wissen wollen. Ihr werdet jetzt nicht mehr nöthig haben, es anzuleiten, sondern werdet es vielmehr beständig zurückhalten müssen. Laßt uns übrigens Eile anwenden, es auf dieser Insel einzurichten, so lange sich sein Glück noch darauf beschränkt, denn schon nahet der Tag, wo es, wenn es überhaupt dort noch leben will, doch nicht allein wird auf ihr leben wollen, und wo Freitag, welcher ihm jetztnoch kein großes Interesse einflößt, ihm nicht mehr lange genügen wird.
Die Ausübung der natürlichen Künste, welche nur einen einzigen Menschen bedingt, führt uns dazu, uns auch mit den Künsten der Industrie bekannt zu machen, welche das Zusammenwirken mehrerer Hände erfordern. Erstere können durch Einsiedler, durch Wilde betrieben werden; letztere können dagegen nur der Gesellschaft ihre Entstehung verdanken und machen dieselbe nothwendig. So lange man nur das physische Bedürfniß kennt, ist sich jeder Mensch selbst genug, allein die Einführung des Überflüssigen erheischt unbedingt Theilung und Vertheilung der Arbeit; denn während ein Mensch, welcher für sich allein arbeitet, auch nur den Unterhalt für einen einzigen Menschen verdient, werden hundert Menschen, sobald sie ihre Arbeit gemeinschaftlich betreiben, einen Gewinn erzielen, der zum Unterhalte von zweihundert Personen ausreichend ist. Sobald sich also ein Theil der Menschen dem Müßiggange hingibt, muß die Vereinigung der arbeitenden Arme die Unthätigkeit der Feiernden ersetzen.
Mit größter Sorgfalt müßt ihr euch bemühen, von dem Geiste eures Zöglings alle Begriffe von socialen Verhältnissen fern zu halten, für die seine Fassungskraft noch nicht entwickelt genug ist. Nöthigt euch indeß die Verkettung der Kenntnisse, ihm die gegenseitige Abhängigkeit der Menschen von einander nachzuweisen, so lenket, anstatt ihm dieselbe von der moralischen Seite zu zeigen, seine ganze Aufmerksamkeit sofort auf die Industrie und die mechanischen Künste, durch welche sich die Menschen gegenseitig Nutzen schaffen. Während ihr ihn von Werkstatt zu Werkstatt führt, dürft ihr dabei niemals dulden, daß er irgend welche Arbeit sehe, ohne selbst die Hand ans Werk zu legen, noch daß er aus derselben scheide, ohne den Grund von Allem, was hier gemacht wird, oder doch wenigstens von Allem, was er beobachtet hat, vollkommen zu kennen. Deshalb müßt ihr auch selbst arbeiten und ihm überall mit gutem Beispiele vorangehen. Um ihn zum Meister zu machen, spielet überall den Lehrling, undseid überzeugt, daß er aus einer Stunde Arbeit mehr Lehren schöpfen wird, als aus tagelangen Erläuterungen.
Der Werth, welchen man den verschiedenen Künsten gewöhnlich beilegt, steht in umgekehrtem Verhältnisse zu ihrem wirklichen Nutzen. Dieser Werth hängt sogar geradezu von der Unnützlichkeit derselben ab, und so muß es sein. Die nützlichsten Künste sind diejenigen, welche den geringsten Gewinn abwerfen, weil sich die Zahl der Arbeiter nach dem Bedürfnisse der Menschen richtet, und weil die Arbeiten, die Jedermann bedarf, notwendiger Weise einen Preis behaupten müssen, den auch der Arme zu bezahlen vermag. Jene wichtigen Leute dagegen, die nicht Handwerker, sondern Künstler heißen, setzen, weil sie eben einzig und allein für die Müßiggänger und Reichen arbeiten, einen völlig willkürlichen Preis auf ihre Spielereien. Da der Werth dieser nichtigen Arbeiten nur in der Einbildung besteht, so bildet selbst ihr Preis einen Theil dieses Werthes, und man schätzt sie nach Maßgabe der darauf verwandten Kosten. Der Werth, den der Reiche darauf legt, wird nicht durch ihren Nutzen bestimmt, sondern durch den Umstand, daß der Arme sie nicht bezahlen kann. Nolo habere bona, nisi quibus populus inviderit. (Ich will nur Güter besitzen, um welche mich das Volk beneidet.)
Was wird aus euren Zöglingen werden, wenn ihr zugebet, daß sich dieses thörichte Vorurtheil in ihnen einnistet, wenn ihr dasselbe sogar begünstigt, wenn sie zum Beispiel sehen, daß ihr in den Laden eines Goldschmiedes mit größerer Achtung eintretet als in die Werkstätte eines Schlossers? Welches Urtheil werden sie sich über das wahre Verdienst der Künste und den wirklichen Werth der Dinge bilden, wenn sie überall wahrnehmen, daß der Preis, den die Einbildung festsetzt, mit dem im Widerspruche steht,
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