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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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ehrenvollste, die nützlichste und folglich auch die edelste von allen, die er betreiben kann. Ich brauche Emil nicht erst aufzufordern: »Lerne den Ackersbau«; er kennt ihn schon. Alle ländlichen Arbeiten sind ihm von Grund aus bekannt. Mit ihnen hat er sich zuerst beschäftigt, zu ihnen kehrt er unaufhörlich wieder zurück. Ich brauche deshalb nur zu ihm zu sagen: »Bebaue das Erbe deiner Väter. Aber was sollst du wol anfangen, wenn du nun einst dieses Erbe verlierst, oder wenn dir gar keines zufällt? Dann lerne ein Handwerk!«
    »Mein Sohn soll ein Handwerk lernen! Mein Sohn ein Handwerker! Mein Herr, wo denken Sie hin?« – Meine Gedanken gehen weiter als die Ihrigen, gnädige Frau, die Sie seiner Erziehung die Beschränkung auflegen wollen, daß er nie etwas Anderes werden kann als ein Lord, ein Marquis, ein Fürst und eines Tages vielleicht trotzdem weniger als nichts. Ich dagegen will ihn zu einem unverlierbaren Range erheben, zu einem Range, der ihn zu allen Zeiten ehrt. Meine Erziehung soll ihn zum Menschen machen, und was Sie auch sagen mögen, mit diesem Titel wird er weniger seines Gleichen haben, als mit allen denjenigen, die er als Erbschaft von Ihnen erhält.Der Buchstabe tödtet, aber der Geist macht lebendig. Es handelt sich weniger darum, ein Handwerk zur praktischen Ausübung desselben zu erlernen, als vielmehr darum, die Vorurtheile zu besiegen, die das Handwerk mit Geringschätzung behandeln. Sollte Jemand einwenden, du werdest nie gezwungen werden, des Lebensunterhaltes willen zur Arbeit zu greifen, nun, dann um so schlimmer, um so schlimmer für dich. Doch darauf kommt es auch nicht an. Arbeite also nicht aus Noth, arbeite um des Ruhmes willen! Laß dich zum Stande des Handwerkers herab, um über deinen eigenen erhaben zu sein! Um dir das Glück und die Verhältnisse zu unterwerfen, mußt du dich zuerst von ihnen unabhängig machen; um durch die Vorurtheile dereinst eine Herrschaft auszuüben, mußt du dieselben zuerst selbst beherrschen.
    Seid eingedenk, daß ich keineswegs ein Talent von euch verlange; ich verlange ein Handwerk, ein wirkliches Handwerk, eine rein mechanische Kunstfertigkeit, bei welcher die Hände mehr arbeiten als der Kopf, und die zwar nicht zu Vermögen führt, bei welcher man aber dasselbe füglich entbehren kann. In Häusern, die in keiner Weise der Gefahr ausgesetzt waren, daß je Brodmangel in ihnen eintreten könnte, habe ich Väter kennen gelernt, welche in ihrer Vorsicht so weit gingen, daß sie Sorge trugen, ihre Kinder nicht nur in den gewöhnlichen Fächern unterrichten zu lassen, sondern sie auch mit solchen Kenntnissen auszustatten, die ihnen die Befähigung gaben, sich ihren Lebensunterhalt, es mochte kommen, wie es wollte, selbst zu verdienen. Diese vorsorglichen Väter bilden sich ein, viel zu thun; allein eigentlich ist damit doch noch nichts gethan, weil die Hilfsquellen, die sie ihren Kindern zugänglich machen wollen, ebenfalls unter dem Einflusse des nämlichen Glückswechsels stehen, über welchen sie dieselben erheben wollen. Daher kann es kommen, daß derjenige, welcher mit all diesen schönen Talenten ausgestattet ist, eben so gut im Elende umkommen kann, als wenn er sie gar nicht besäße, sobald er sich nicht in der günstigen Lage befindet, von ihnen auch Gebrauch machen zu können.
    Wenn es auf Ränke und Schliche ankommt, so ist dabeikein Unterschied, ob man sich derselben bedient, um sich in seinem Ueberflusse zu erhalten, oder ob man sich im Schooße des Elends auf dieselben stützt, um das wieder zu gewinnen, was Jemanden in den Stand setzen kann, seine frühere Stellung wieder zu gewinnen. Wenn du dich einer Kunst widmest, deren Erfolg von dem Rufe des Künstlers abhängt, wenn du nach einer Lebensstellung strebst, die man nur durch Gunst zu erhalten vermag, was kann dir das Alles nützen, sobald du voller Ekel über das Treiben der Welt die Mittel verschmähst, ohne welche man nun einmal nicht im Stande ist, seinen Zweck zu erreichen. Du hast Politik und die monarchischen Institutionen studirt; damit kann man es freilich weit bringen; aber was sollen dir diese Kenntnisse helfen, wenn du dir nicht den Zutritt zu den Ministern, den Hofdamen, den Vorstehern der Staatsbehörden zu eröffnen verstehst, wenn du nicht in das Geheimniß, ihnen zu gefallen, eingeweiht bist, wenn sie nicht sämmtlich in dir den Schelm finden, der für sie paßt? Du bist Baumeister oder Maler. Gut. Aber dein Talent muß doch erst bekannt werden. Meinst du etwa,

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