Emil oder Ueber die Erziehung
du könntest dies ohne Weiteres schon dadurch erreichen, daß du nur ein Werk öffentlich ausstellst? O nein, auf diesem Wege geht das nicht. Man muß ein Mitglied der Akademie sein, es darf Einem selbst in dieser Stellung nicht an Gönnern fehlen, um nur in irgend einem Winkel an der Wand auch nur ein dunkles Plätzchen zu erhalten. Stehe von deinem Lineal oder Pinsel auf! Nimm dir einen Wagen und fahre von Thür zu Thür: das ist die Straße, die zum Ruhme führt. Dabei darfst du aber auch nicht vergessen, daß vor den Portalen aller dieser glänzenden Häuser Schweizer oder Portiers stehen, die nur auf die Zeichensprache eingeübt sind und ihre Ohren in den Händen haben. Willst du deine Kenntnisse an den Mann bringen und Lehrer der Geographie, der Mathematik, der Sprachen, der Musik oder des Zeichnens werden, so mußt du selbst hierzu erst Schüler finden und dich folglich auf Empfehlungen verlassen können. Sei überzeugt, daß weit mehr darauf ankommt, ein Charlatan zu sein, als ein geschickter Lehrer. Ich sage dir vorher,daß du, wenn du keine andere Kunst als die deinige verstehst, immer für einen Ignoranten gelten wirst.
Du wirst also begreifen, wie wenig verläßlich alle diese so glänzend erscheinenden Hilfsquellen sind, und wie viele andere erst wieder hinzutreten müssen, um aus ihnen Nutzen ziehen zu können. Vor Allem aber bedenke, was in dieser entehrenden Erniedrigung aus dir werden soll? Das Scheitern deiner Pläne wird dich entwürdigen, ohne dich zu belehren. Wie willst du, der du jetzt mehr als je der Spielball der öffentlichen Meinung bist, dich über die Vorurtheile erheben, von denen die Entscheidung deines Schicksals abhängt? Wie willst du Gemeinheit und Laster verachten, die dir zu deinem Unterhalte unbedingt nöthig sind? Hingest du früher vom Reichthume ab, so hängst du jetzt von den Reichen ab. Du hast deine Sklaverei nur schlimmer gemacht und zu ihrer schon so drückenden Last noch die Schwere deines Elends hinzugewälzt. Mit einem Worte: du bist arm, ohne frei zu sein; dies ist der elendeste Zustand, in den ein Mensch gerathen kann.
Wenn du jedoch, statt zur Fristung deines Lebens zu solchen hohen Kenntnissen deine Zuflucht zu nehmen, die nur die Aufgabe haben, die Seele, aber nicht den Leib zu nähren, in der Noth lieber auf die Geschicklichkeit deiner Hände und auf den Ertrag deiner Arbeit vertraust, so verschwinden alle Schwierigkeiten und du hast nicht nöthig, dich durch Anwendung unerlaubter Kunstgriffe zu beflecken. Diese Hilfsquelle steht dir jeden Augenblick zu Diensten. Deine Rechtschaffenheit und der dir vorangehende gute Ruf sind dir dann auf deinem Lebenswege kein Hinderniß mehr. Du brauchst dich dann vor den Großen nicht mehr feig und lügnerisch, vor den Schelmen fügsam und kriechend und vor Jedermann als ein verächtlicher Augendiener zu zeigen, brauchst nicht mehr zu borgen und zu stehlen, was für den Besitzlosen ziemlich gleichbedeutende Begriffe sind. Fremde Urtheile kümmern dich nicht; du brauchst Niemandem den Hof zu machen, keinem Einfaltspinsel Schmeicheleien zu sagen, keinen Schweizer zu erweichen, keine Buhlerin zu bestechen und, was noch schlimmer ist, heuchlerisch ihre Tugenden zu rühmen. Ob Schurken das Staatsschifflenken, wird dich wenig kümmern; alles das wird dich nicht hindern, in deiner Zurückgezogenheit als ein rechtschaffener Mann zu leben und dein sicheres Brod zu haben. Du trittst in die erste beste Werkstätte des Handwerks ein, welches du gelernt hast. »Meister, mir fehlt Arbeit!« – »Setzt euch an die Arbeit, Geselle!« Ehe noch die Mittagsstunde herangerückt ist, hast du dein Mittagessen verdient; und bist du fleißig und mäßig, so wirst du, ehe acht Tage verstrichen sind, so viel zurückgelegt haben, daß du weitere acht Tage davon leben kannst, und dabei ist dein Leben in Freiheit, Gesundheit, Wahrheit, Arbeitsamkeit und Rechtschaffenheit verflossen. Das kann man nicht nennen, seine Zeit verlieren, sondern auskaufen.
Ich bestehe darauf, daß Emil ein Handwerk lerne. Aber doch wenigstens ein anständiges Handwerk, werdet ihr sagen. Was denkt ihr euch bei diesem Worte? Ist nicht jedes dem Gemeinwesen nützliche Handwerk ein anständiges? Ich will nicht, daß er ein Sticker, ein Vergolder, ein Lackirer werde wie Locke’s Gentleman; auch soll er sich weder der Musik, noch der Schauspielkunst, noch der Schriftstellerei [13] widmen. Mit Ausnahme dieser und ähnlicher Berufsarten soll ihm die Wahl vollkommen freistehen; ich
Weitere Kostenlose Bücher