Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
werde ihm in keiner Weise hinderlich entgegentreten. Es ist mir lieber, daß er ein Schuster wird als ein Dichter, daß er die Straßen pflastert, als daß er Porzellanblumen macht. Aber, werdet ihr fragen, sind denn die Polizisten, die Spione, die Henker nicht auch nützliche Leute? Wenn sie es nicht sind, so liegt die Schuld nur an den Regierungen. Doch ich will noch weiter gehen, ich will mein Unrecht gestehen. Es genügt noch nicht, blos einen nützlichen Beruf zu wählen; derselbe darf auch von denen, die ihn betreiben, niemals gehässige und mit der Menschlichkeit unvereinbare Eigenschaften der Seele beanspruchen.
    Ich halte deshalb meinen ersten Ausdruck fest und sage: Laßt uns ein anständiges Handwerk wählen; laßt uns aber dabei nie vergessen, daß es nichts Anständiges gibt, was nicht zu gleicher Zeit nützlich ist.
    Ein berühmter Schriftsteller dieses Jahrhunderts, [14] dessen Werke voll großer Entwürfe und kleiner Ansichten sind, hatte, wie alle Priester seines Glaubens, das Gelübde abgelegt, keine eigene Frau zu haben. Da er jedoch in Bezug auf den Ehebruch eine weit größere Gewissenhaftigkeit bewies als die übrigen, so suchte er sich, wie man sich erzählt, dadurch zu helfen, daß er sich immer hübsche Mägde hielt, mit welchen er nach bestem Vermögen die Schmach wieder gut machte, die er dem menschlichen Geschlechte durch dieses unbesonnene Gelübde zugefügt hatte. Er hielt es für die Pflicht eines jeden Bürgers, dem Vaterlande Bürger zu geben; und mit dem Tribute, den er demselben in dieser Weise entrichtete, bevölkerte er die Classe der Handwerker. Sobald diese Kinder das entsprechende Alter erreicht hatten, ließ er sie sämmtlich nach eigener Wahl ein Handwerk lernen. Lediglich die müßigen, nichtigen oder der Mode unterworfenen Gewerbe, wie z.B. das des Perrückenmachers, das niemals nothwendig ist und das, so lange die Natur nicht müde wird, uns Haare zu schenken, mit einem Male ganz unnütz werden kann, schloß er dabei aus.
    In dieser Handlungsweise spricht sich der Geist aus, der uns bei der Wahl eines Handwerks für Emil leiten muß; oder vielmehr, es steht nicht uns zu, diese Wahl zu treffen, sondern ihm allein; denn da sich in Folge der Grundsätze, die wir ihm eingeflößt haben, in ihm eine natürliche Verachtung für alles Unnütze erhält, so wird er seine Zeit niemals mit völlig werth- und nutzlosen Arbeiten verschwenden wollen, und er kennt keinen anderen Werth der Dinge, als ihren wirklichen Nutzen. Er kann seine Wahl nur auf ein Handwerk richten, das Robinson auf seiner Insel Nutzen bringen könnte.
    Wenn man die Erzeugnisse der Natur und der Kunst vor den Augen des Kindes vorüber ziehen läßt, wenn manseine Neugier erregt und beobachtet, wohin dieselbe es führt, so hat man den Vortheil, dabei seine Geschmacksrichtung, seine Neigung, seinen Hang studiren zu können und den ersten Funken seines Genies hervorleuchten zu sehen, wenn sich dasselbe in einer bestimmten Richtung geltend macht. Ein gewöhnlicher Fehler, vor dem man sich jedoch sorgfältig hüten muß, besteht darin, daß man eine durch bloßen Zufall hervorgerufene Leistung dem übersprudelnden Talente zuschreibt und den Nachahmungstrieb, welchen der Mensch mit dem Affen theilt und welcher Beide maschinenmäßig antreibt, Alles, was sie thun sehen, ebenfalls zu thun, ohne sich deutlich bewußt zu sein, wozu es nützt, für eine ausgesprochene Neigung zu dieser oder jener Kunst hält. Die Welt wimmelt von Handwerkern und namentlich Künstlern, welchen zu der Kunst, die sie betreiben, alle natürliche Anlage fehlt, zu der man sie jedoch schon von frühester Jugend auf angehalten hat, sei es nun, daß man sich dazu durch besondere Gründe bestimmen ließ, oder auch durch einen ihnen angeborenen augenscheinlichen Eifer getäuscht wurde, welcher sie indeß eben so gut zu jeder anderen Kunst, wenn sie dieselbe zu gleicher Zeit hätten ausüben sehen, getrieben haben würde. Mancher hört einen Tambour und sieht sich im Geiste schon als General; ein Anderer sieht bauen und will deshalb Baumeister werden. Jeder fühlt sich zu dem Berufe hingezogen, den er ausüben sieht, sobald er denselben für einen anständigen hält.
    Ich habe einen Diener gekannt, der seinen Herrn einmal malen und zeichnen sah und sich nun in den Kopf setzte, ein Maler und Zeichner zu werden. Von dem Augenblicke an, wo dieser Entschluß in ihm zur Reife gekommen war, nahm er den Bleistift, welchen er nur weglegte, um sofort nach dem

Weitere Kostenlose Bücher