Emil oder Ueber die Erziehung
ein Narr eben so wol wie ein Anderer einnehmen kann, steigt er zum Range des Menschen empor, dem nur Wenige Ehre zu machen wissen. Alsdann triumphirt er über das Schicksal, er trotzt demselben, er verdankt Alles nur sich allein; und wenn ihm nichts geblieben wäre, was er aufweisen könnte als sein eigenes Selbst, so ist er deshalb doch keine Null; er zählt mit, er ist ein Etwas. Fürwahr, hundertmal lieber ist mir jener König von Syrakus, der Schulmeister wurde, und der bekannte König von Macedonien, der in Rom sein Leben als Schreiber kümmerlich fristete, als ein unglücklicher Tarquin, der nicht weiß, was er anfangen soll, wenn ihm die Herrschaft genommen ist, oder als jener Erbe dreier Königreiche, [12] der als ein Spielball eines Jeden, welcher sich herausnimmt, seines Elendes zu spotten, von Hof zu Hof irrt, überall Hilfe sucht und überall mit beleidigender Kälte aufgenommen wird, weil er nichts als einen Beruf gelernt hat, dessen Ausübung nicht mehr in seiner Gewalt liegt.
Der Mensch und der Bürger, wer er auch immer sei, vermag der Gesellschaft kein anderes Gut als Mitgift und Einlage zu überbringen, als sich selbst; alle seine übrigen Güter sind ohnehin schon ihr Eigenthum. Besitzt ein Mensch Reichthum, so braucht er sich zwar von demselben keinen Genuß zu verschaffen, thut er es aber, so genießtihn die Gesellschaft gleichzeitig mit. Im ersteren Falle entzieht er Anderen das, dessen er sich selber beraubt, und im zweiten gibt er ihnen nichts. So lange er also nur mit seinen äußeren Gütern bezahlt, hat er der Gesellschaft noch immer die volle Schuld zu entrichten. »Aber,« wendet vielleicht Jemand ein, »mein Vater hat ja damals, als er das Vermögen erwarb, der Gesellschaft Dienste geleistet ….« Es mag sein, indeß hat er nur seine Schuld abgetragen, nicht die deinige. Du schuldest gerade deswegen, weil du bei deiner Geburt begünstigt worden bist, den Anderen mehr, als wenn du in dürftigen Verhältnissen geboren wärest. Es liegt eine Unbilligkeit darin, daß das, was ein Mensch für die Gesellschaft gethan hat, einen Anderen von seiner Schuld, die er derselben zu entrichten hat, entbinden soll. Denn da Jeder verpflichtet, sich ganz und gar und in jeder Beziehung in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, so kann er auch nur seine eigene Schuld abtragen, und kein Vater vermag auf seinen Sohn das Recht zu vererben, seinen Nebenmenschen nutzlos zu sein. Das thut er jedoch in der That, wenn er, nach deiner Behauptung, ihm seine Reichthümer, die den Beweis und den Lohn seiner Arbeit bilden, hinterläßt. Wer im Müßiggange verzehrt, was er nicht selbst erworben hat, verübt geradezu einen Diebstahl, und ein Rentner, den der Staat für sein unthätiges Leben in der Form von Zinsen bezahlt, ist in meinen Augen kaum von einem Straßenräuber verschieden, der auf Kosten der Reisenden lebt. Dem außerhalb der Gesellschaft stehenden, isolirten Menschen steht, da er gegen Niemanden Verpflichtungen zu erfüllen hat, deshalb auch das Recht zu, ganz nach seinem Gefallen zu leben; allein innerhalb der Gesellschaft, wo er nothwendiger Weise auf Kosten der Anderen lebt, muß er ihnen durch seine Arbeit einen Ersatz für seinen Unterhalt gewähren. Hierin darf keine Ausnahme stattfinden. Arbeiten ist demzufolge eine unerläßliche Pflicht des sich in der Gesellschaft bewegenden Menschen. Ob reich oder arm, ob mächtig oder schwach, jeder müßige Bürger ist ein Spitzbube.
Von allen Beschäftigungen nun, welche dem Menschenseinen Unterhalt verschaffen können, ist die Handarbeit diejenige, welche sich dem Naturzustande am meisten nähert; unter allen Ständen kann deshalb auch der Stand des Handwerkers als derjenige bezeichnet werden, der vom Glückswechsel und von den Menschen am unabhängigsten ist. Der Handwerker hängt lediglich von seiner Arbeit ab. Er ist frei, in demselben Grade frei, in welchem der Landmann Sklave ist, denn Letzterer ist an die Scholle gebunden und der Ertrag seines Feldes ist zum Theil fremder Willkür anheimgegeben. Der Feind, der Fürst, ein mächtiger Nachbar, ein Proceß ist im Stande ihm dieses Feld zu entreißen; vermittelst desselben kann man ihm auf tausenderlei Weise Verdruß verursachen; aber überall, wo man darauf ausgeht, den Handwerker zu belästigen, ist sein Ränzel bald geschnürt; seine Arme kann man ihm nicht nehmen, die nimmt er mit und geht seiner Wege. Dennoch ist und bleibt der Ackerbau die erste Beschäftigung des Menschen; sie ist die
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