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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Glück für uns, wenn wir sie bei unserem Eintritte nicht schon im Besitze des Feindes finden, der uns bedroht und sich rüstet, sich ihrer zu bemächtigen!
    Was bleibt uns nach der sorgfältigen Beobachtung unserer ganzen Umgebung nun noch zu thun übrig? Daßwir Alles, was wir uns davon aneignen können, richtig anwenden lernen, und zum Besten unseres Wohlseins Vortheil aus unserer Wißbegierde ziehen. Bisher haben wir uns mit Werkzeugen jeglicher Art versehen, ohne eigentlich zu wissen, welche wir davon nöthig haben werden. Obgleich die unsrigen vielleicht für uns selbst unnütz sind, können doch Andere sie vorteilhaft verwenden, während umgekehrt wir vielleicht die ihrigen gebrauchen können. Wir würden deshalb bei einem Tausche Alle unsere Rechnung finden. Um indeß auf einen solchen einzugehen, müssen wir unsere gegenseitigen Bedürfnisse kennen, muß Jeder wissen, wie viel für ihn Brauchbares Andere besitzen, und was er ihnen seinerseits dafür zu bieten im Stande ist. Stellen wir uns zehn Menschen vor, von denen jeder zehn verschiedene Bedürfnisse hat. Um sich nun das Nöthige zu verschaffen, muß sich Jeder von ihnen auf zehn verschiedenartige Arbeiten verstehen. In Anbetracht der Verschiedenheit ihrer Anlagen wird aber bei dem Einen diese, bei dem Anderen jene Arbeit unvollkommen ausfallen. Trotz ihrer verschiedenen Befähigung werden sie sämmtlich die nämlichen Arbeiten vornehmen und in Folge dessen schlecht bedient sein. Nun laßt uns aus diesen zehn Menschen eine Gesellschaft bilden. Jeder treibe, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die neun Uebrigen, diejenige Beschäftigung, für die er die meiste Befähigung zeigt. Auf diese Weise wird Jeder von den Talenten der Anderen denselben Vortheil haben, als ob er sie alle selbst besäße. Jeder wird außerdem das seinige durch die unausgesetzte Uebung vervollkommnen, und so wird es dahin kommen, daß die zehn Personen, nachdem sie selbst vollständig mit Allem versehen sind, noch einen Ueberschuß für Andere übrig behalten werden. Auf diesem Principe beruhen augenscheinlich alle unsere Institutionen. Es gehört nicht zu der Aufgabe, die ich mir gestellt habe, hier die weiteren Folgen zu untersuchen; dies habe ich bereits in einer anderen Schrift gethan. [10]
    Nach diesem Principe würde ein Mensch, der sich inden Sinn kommen ließe, sich als ein isolirtes Wesen zu betrachten, sich an gar nichts anzuschließen und sich selbst zu genügen, nur ein elendes Wesen sein können. Ja, es wäre ihm sogar unmöglich, sein Dasein zu erhalten; denn da er die ganze Erde schon vertheilt fände und außer seinem Körper nichts sein Eigen nennen könnte, wo sollte er wol seinen nöthigen Unterhalt hernehmen? Sobald wir aus dem Naturzustande heraustreten, zwingen wir dadurch auch unseres Gleichen, ihn ebenfalls aufzugeben. Gegen den Willen der Anderen kann Niemand in demselben verharren; und schon das Verlangen in demselben zu bleiben, trotzdem es keine Möglichkeit gibt, darin sein Leben zu erhalten, käme einem tatsächlichen Verlassen desselben gleich. Denn das erste Gesetz der Natur ist die Sorge der Selbsterhaltung.
    So bilden sich nach und nach in dem Geiste des Kindes die Vorstellungen von den socialen Verhältnissen, sogar ehe es noch wirklich ein thätiges Mitglied der Gesellschaft sein kann. Emil begreift recht wohl, daß er, wenn er Werkzeuge zu seinem eigenen Gebrauche erhalten will, auch solche haben muß, die Andere gebrauchen können, durch deren Eintausch er dann im Stande ist, die ihm notwendigen Dinge, welche sich im Besitze Jener befinden, zu erlangen. Mit Leichtigkeit kann ich ihn dahin bringen, daß er die Nothwendigkeit eines solchen Austausches einsieht und sich in den Stand setzt, Vortheil daraus zu ziehen.
    »Gnädiger Herr, ich muß leben,« sagte ein unglückseliger satyrischer Schriftsteller zu einem Minister, der ihm das Ehrlose dieser Beschäftigung vorhielt. »Ich sehe die Nothwendigkeit davon nicht ein,« lautete die kalte Antwort des Staatsmannes. So ausgezeichnet diese Antwort auch im Munde eines Ministers klingt, so barbarisch und unrichtig würde sie doch in dem Munde eines jeden Anderen gewesen sein. Jeder Mensch muß leben. Gegen diesen Satz, der für Jeden mehr oder weniger Beweiskraft haben wird, je nachdem er mehr oder weniger menschlich gesinnt ist, scheint mir derjenige, der ihn auf sich selbst anwendet, nichts entgegnen zu können. Gegen so viele Dinge dieNatur uns auch Widerwillen eingeflößt hat, so zeigt

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