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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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nehmen, denn diese kann man gewiß kein Vorurtheil nennen; über diesen Punkt entscheiden die Sinne. Endlich würde ich meine Wahl auch nicht auf eines dieser gedankenlosen Gewerbe lenken, in welchen die Arbeiter, wie z.B. Weber, Strumpfwirker und Steinmetze, ohne allen Kunstsinn und fast wie Automaten, immer nur die nämlichen Arbeiten vornehmen und an ihnen ihre Hände üben. Wozu nützt es, für diese Geschäfte mit Vernunft begabte Wesen zu verwenden? Bei ihnen ist der Arbeiter nur eine Maschine, der eine andere in Bewegung setzt.
    Alles wohl erwogen, würde es meinen Wünschen am meisten entsprechen, wenn mein Zögling Gefallen an dem Tischlerhandwerke fände. Es ist reinlich und nützlich, läßt sich im Hause betreiben, hält den Körper in hinreichender Bewegung und erfordert von dem Arbeiter Geschicklichkeit und Kunstsinn, denn obgleich die Form der anzufertigenden Gegenstände von dem künftigen Gebrauche derselben abhängt, so sind doch Eleganz und Geschmack nicht ausgeschlossen.
    Sollte sich zufällig der Geist eines Zöglings in entschiedener Weise den speculativen Wissenschaften zuwenden, so würde ich es nicht tadelnswerth finden, wenn ihr ihn für ein seinen Neigungen entsprechendes Geschäft bestimmtet; laßt ihn z.B. die Verfertigung von mathematischen Instrumenten, Brillen, Teleskopen u.s.w. lernen.
    Wenn Emil sein Handwerk lernt, so werde ich es mit ihm zusammen lernen, denn ich bin überzeugt, daß er nur das, was wir gemeinschaftlich betreiben, gründlich lernen wird. Wir werden deshalb alle Beide in die Lehre treten und keineswegs Anspruch darauf machen, als Herren behandelt zu werden, sondern wir wollen im Gegentheile als Lehrlinge gelten, die es nicht der Kurzweil halber sind. Und weshalb sollten wir es nicht wirklich in vollem Ernste sein?Der Czar Peter war Schiffszimmermann und diente in seinem eigenen Heere als Tambour. Meint ihr, dieser Fürst könne sich mit euch an Geburt und Verdienst nicht messen? Es ist selbstverständlich, daß ich dies nicht etwa gegen Emil äußere; an euch wende ich mich, wer ihr auch sein möget.
    Unglücklicher Weise können wir nicht unsere ganze Zeit an der Hobelbank zubringen. Wir sind ja nicht allein Tischlerlehrlinge, sondern auch Lehrling für das ganze menschliche Leben; und gerade die Lehrlingsschaft für diesen letzten Beruf ist schwieriger und zeitraubender als die erstere. Wie werden wir es also anfangen? Wollen wir uns etwa täglich eine Stunde lang einen Meister der Hobelkunst annehmen, in derselben Weise, wie man sich einen Tanzlehrer hält? Nein; dann würden wir nicht Lehrlinge, sondern Schüler sein; und unser Ehrgeiz besteht nicht sowol darin, das Tischlerhandwerk zu erlernen, als vielmehr darin, uns zum Stande des Tischlers zu erheben. Meiner Ansicht nach müßten wir jede Woche wenigstens ein- oder zweimal den ganzen Tag bei dem Meister zubringen, eben so früh wie er aufstehen, uns noch vor ihm zur Arbeit einfinden, an seinem Tische essen und nach seiner Anleitung arbeiten. Hätten wir dann die Ehre gehabt, mit seiner Familie zu Abend zu essen, so könnten wir, wenn wir wollten, nach Hause zurückkehren, um auf unserem harten Lager der Ruhe zu pflegen. Auf diese Weise lernt man mehrere Gewerbe auf einmal und bildet sich in den Handarbeiten aus, ohne daß die andere Lehrlingsschaft darunter zu leiden hat.
    Laßt uns recht handeln und dabei einfach bleiben; seien wir auf der Hut, durch Bekämpfung der Eitelkeit derselben nicht neue Nahrung zuzuführen. Man erzählt sich, daß der Großherr nach einer alten Sitte des ottomannischen Herrscherhauses verpflichtet ist, mit eigenen Händen mechanische Arbeiten zu machen, und es ist männiglich bekannt, daß die Werke einer kaiserlichen Hand Meisterwerke sind. Er vertheilt diese Meisterwerke deshalb unter Entfaltung einer festlichen Pracht an die Großen der hohen Pforte, und sie werden natürlich nach dem Range ihres Verfertigersbezahlt. Das Schlimme, was ich hierin erblicke, beruht nicht darin, daß der ganze Act doch nur auf eine Gelderpressung ausläuft, denn diese hat im Gegentheile ihre gute Seite. Indem der Fürst seine Großen zwingt, das, was sie dem Volke geraubt haben, mit ihm zu theilen, sieht er sich weniger in die Lage versetzt, das Volk unmittelbar plündern zu müssen. Diese Erleichterung muß nothwendig mit dem Despotismus verbunden sein, weil ohne sie diese entsetzliche Regierungsform gar nicht bestehen könnte.
    Das wirklich Schlimme einer solchen Sitte liegt in der hohen

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