Emil oder Ueber die Erziehung
gestatten, die auf eine ähnliche Beschäftigung wie jeneangewiesen sind. Hätte die Annahme auch eine Berechtigung, daß Verschnittene ein nothwendiges Uebel wären, so verdenke ich es doch den Orientalen im höchsten Grade, daß sie sich solche erst auf künstlichem Wege verschaffen. Weshalb begnügen sie sich nicht mit denen, welche die Natur hervorgebracht hat, mit dieser großen Schaar elender Männer, denen sie gleichsam ein verstümmeltes Herz mitgegeben hat. Sie würden sie nicht einmal Alle gebrauchen können. Jeder schwächliche, verweichlichte, zaghafte Mann ist von der Natur zu einer sitzenden Lebensweise verurtheilt. Er ist dazu geschaffen, um mit Weibern und in weibischer Weise zu leben. Wenn ein Jeder den Beruf treibt, für den er sich besonders eignet, so habe ich gewiß nichts dagegen einzuwenden; und wenn es denn einmal durchaus wirkliche Verschnittene geben soll, so verwende man für diesen Stand solche Männer, welche ihr Geschlecht entehren, indem sie sich Beschäftigungen hingeben, die sich für Männer nicht schicken. Die Wahl, die sie hinsichtlich ihres Berufes treffen, verräth einen Irrthum der Natur; verbessert diesen Irrthum auf die eine oder die andere Weise, und ihr werdet dadurch nur Gutes stiften.
Ich verbiete meinem Zöglinge die ungesunden, aber keineswegs die beschwerlichen, ja nicht einmal die gefährlichen Gewerbe. Letztere üben Kraft und Muth gleichzeitig. Sie taugen lediglich für Männer; die Frauen wollen mit ihnen nichts zu schaffen haben. Weshalb schämen sich die Männer nicht, sich in Berufszweige einzudrängen, die nur für die Frauen bestimmt sind?
Luctantur pauca, comedunt coliphia paucae. Vos lanam trahitis, calathisque peracta refertis Vellara … [16]
In Italien sieht man keine Frauen in den Läden; und man kann sich in der That nichts Traurigeres vorstellen als den Anblick, welchen die Straßen dieses Landes denjenigen darbieten, welche an das Straßenleben Frankreichs und Englands gewöhnt sind. Als ich sah, wie Modehändler den Damen Bänder, Kopfputz, Haarnetze undSeidenschnüre verkauften, erschien mir in den groben Fäusten, die dazu geschaffen sind, den Blasebalg zu ziehen und auf den Ambos zu hämmern, dieser zierliche Putz sehr lächerlich. Ich sagte mir: Zur Vergeltung sollten sich die Frauen in diesem Lande auf den Verkauf von Schwertern und anderen Waffen legen. Jeder sollte doch nur die Waffen seines Geschlechtes anfertigen und verkaufen. Um sie zu kennen, muß man sie brauchen.
Junger Mann, drücke deinen Arbeiten den Stempel der Manneshand auf! Lerne mit starkem Arme Beil und Säge regieren, einen Balken behauen, einen Giebel besteigen, ein Haus richten, Trag- und Zugbalken befestigen, und dann rufe deiner Schwester zu, sie möge kommen, um dir bei deiner Arbeit zu helfen, wie sie ja auch von dir verlangt hat, du solltest ihr bei ihren Stickarbeiten Hilfe leisten.
Ich fühle recht wohl, daß ich meinen freundlichen Zeitgenossen in meinen Forderungen zu weit gehe. Aber ich lasse mich bisweilen durch die Consequenzen fortreißen. Schämt sich irgend ein Mann, er mag sein, wer er wolle, im Schurzfelle mit dem Hobel in der Hand öffentlich zu arbeiten, so erblicke ich in ihm nichts als einen Sklaven der Meinung, der auch erröthen würde, eine gute Handlung zu thun, sobald es Mode würde, ehrliche Leute zu verlachen. Trotzdem wollen wir dem Vorurtheile der Väter in allen Stücken, die dem Urtheile der Kinder nicht nachtheilig sein können, nachgeben. Es ist durchaus nicht nothwendig, daß man, um seine Achtung gegen alle nützlichen Gewerbe zu beweisen, sie nun auch alle praktisch ausübt; es genügt, daß man keines derselben unter seiner Würde halte. Weshalb sollten wir uns, wenn die Wahl in unserer Hand steht und nichts Anderes bestimmend auf uns einwirkt, bei unserer Wahl unter den Beschäftigungen gleichen Ranges nicht von der Annehmlichkeit derselben sowie von unserer Lust und Neigung leiten lassen? Die Metallarbeiten sind nützlich, sogar die nützlichsten von allen; gleichwol beabsichtige ich nicht, falls mich nicht ein besonderer Grund dazu veranlassen sollte, einen Hufschmied, Schlosser oder Grobschmied aus eurem Sohne zu machen;ich möchte ihn nicht in der Gestalt eines Cyklopen in seiner Schmiede sehen. Eben so wenig gedenke ich einen Maurer und noch weniger einen Schuhmacher aus ihm zu machen. Allerdings ist die Betreibung aller dieser Professionen eine Notwendigkeit; wem aber die Wahl frei steht, der muß auf die Sauberkeit Rücksicht
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