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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Aufleuchten des Glückes waren sofort seine Leiden und sein Beschützer vergessen. Diese Undankbarkeit sollte aber bald ihre Strafe erhalten; alle seine Hoffnungen scheiterten. Kam ihm auch seine Jugend zu Statten, so verdarben doch seine romanhaften Ideen Alles wieder. Obwol es ihm an den hinreichenden Talenten und dem nöthigen Geschick gebrach, um sich einen leichten Lebensweg zu bahnen, und er weder gemäßigt noch schlecht zu sein verstand, so machte er doch auf so Vielerlei Anspruch, daß er schließlich keines seiner Ziele zu erreichen vermochte. Zurückgesunken in sein früheres Elend, ohne Brod, ohne Obdach, dem Hungertode nahe, erinnerte er sich mit einem Male wieder seines Wohlthäters.«
    »Er kehrt zu ihm zurück, findet ihn und hat sich einer freundlichen Aufnahme zu erfreuen. Sein Anblick ruft in dem Geistlichen wieder das Andenken an eine gute Handlung, welche er vollbracht hatte, wach. Eine solche Erinnerung kann für die Seele stets nur erfreulich sein. Dieser Mann war von Natur menschenfreundlich und mitleidig; seine eigenen Leiden erfüllten ihn mit Mitgefühl für fremdes Leid, und Wohlstand hatte sein Herz nicht verhärtet; außerdem hatten die Lehren der Weisheit und eine fleckenlose Tugend seinem guten Naturell noch größerenHalt gegeben. Er nimmt den jungen Mann auf, verschafft ihm ein Nachtlager, empfiehlt ihn und theilt mit ihm sein geringes Einkommen, das für Zwei kaum ausreichend ist. Er thut sogar noch mehr, er unterrichtet ihn, tröstet ihn und lehrt ihn vor Allem die schwierige Kunst, jedes Mißgeschick mit Geduld zu ertragen. Hättet ihr, mit Vorurtheilen erfüllte Menschen, dies wol von einem Geistlichen, hättet ihr es wol in Italien vermuthet?«
    »Dieser redliche Geistliche war ein armer savoyischer Vikar, der wegen eines Jugendabenteuers bei seinem Bischofe in Ungnade gefallen war und deshalb jenseits der Berge ein Unterkommen aufgesucht hatte, welches ihm in seinem Vaterlande versagt war. Es fehlte ihm weder an Geist noch an wissenschaftlicher Bildung. Diese Gaben so wie eine einnehmende Figur hatten ihm Gönner verschafft, welche ihn bei einem Minister unterbrachten, um die Erziehung seines Sohnes zu übernehmen. Allein er zog die Dürftigkeit der Abhängigkeit vor, und es fehlte ihm auch an dem richtigen Tacte im Umgange mit den Großen. Daher blieb er nicht lange in diesem Wirkungskreise, verlor jedoch, als er aus demselben schied, keineswegs die Achtung des Ministers, und da er einen unanstößigen Lebenswandel führte und sich bei Jedermann beliebt machte, so schmeichelte er sich mit der Hoffnung, doch noch die Gunst des Bischofs wieder zu gewinnen und irgend eine kleine Pfarrei im Gebirge von demselben zu erhalten, wo er seine übrigen Tage verleben könnte. Ein höheres Ziel kannte sein Ehrgeiz nicht.«
    »Eine natürliche Neigung zog ihn zu dem jungen Flüchtlinge hin und trieb ihn an, denselben genau zu beobachten. Er nahm wahr, daß das Unglück sein Herz bereits gebrochen, daß Schmach und Verachtung seinen Muth gebeugt hatte, und daß seinem Stolze, der schon in tiefste Bitterkeit übergegangen war, die Ungerechtigkeit und Härte der Menschen nur als ein Gebrechen ihrer Natur und jede Tugend als eitler Wahn erschien. Derselbe hatte zu sehen geglaubt, daß die Religion nur die Maske des Eigennutzes abgibt und der religiöse Cultus die Heuchelei groß zieht; es war ihm vorgekommen, als ob bei allemAufgebote des Scharfsinnes in den gelehrten Streitigkeiten Himmel und Hölle immer nur als Preis für ein Spielen mit Worten gelten, in seinen Augen war die erhabene und ursprüngliche Idee der Gottheit durch die phantastischen Einbildungen der Menschen entstellt, und da es ihm schien, daß man, um an Gott zu glauben, auf den Verstand verzichten müßte, den man von ihm erhalten hat, so zollte er sowol diesen ihm lächerlich dünkenden Träumereien der Menschen als auch dem Gegenstande derselben die nämliche Verachtung. Ohne die geringste Kenntniß von dem, was ist, ohne eine richtige Vorstellung von der Entstehung der Dinge, verharrte er mit tiefer Verachtung aller derer, die davon mehr als er zu wissen meinten, in seiner krassen Unwissenheit.«
    »Die Verwerfung aller Religion führt zur Verabsäumung der Pflichten des Menschen. Unser Freigeist hatte in seinem Herzen schon mehr als die Hälfte dieses Weges zurückgelegt. Trotzdem war er nicht etwa mit besonders bösen Anlagen geboren, sondern der Unglaube und das Elend, welche seine Natur allmählich erstickten trieben

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