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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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»daß man glaubte, es gäbe gar keinen Plutarch in der Welt, als daß man sagte: Plutarch ist ungerecht, neidisch, eifersüchtig und so tyrannischen Geistes, daß er mehr verlangt, als zu erfüllen möglich ist.«
    Der große Uebelstand eines falschen Bildes der Gottheit, welches man dem Geiste der Kinder einprägt, besteht darin, daß dasselbe ihr ganzes Leben hindurch in ihnen haften bleibt, und daß sie, auch wenn sie erwachsen sind, sich von den Anschauungen ihrer Kindheit nicht loszureißen vermögen. Ich habe in der Schweiz eine brave und fromme Hausmutter gekannt, die von der unumstößlichen Richtigkeit dieses Satzes so vollkommen überzeugt war, daß sie ihren Sohn in seiner frühesten Jugend unter keinen Umständen in der Religion unterrichten wollte, weil sie von der Besorgniß erfüllt war, er könnte sich durch eine so unvollkommene Belehrung befriedigt fühlen und im Alter der Vernunft einer eingehenderen sein Ohr nicht mehr schenken. Dieses Kind hörte immer nur mit Andacht und Ehrfurcht von Gott reden, und sobald es selbst von ihm reden wollte, legte man ihm darüber, als über einen Gegenstand, der für dasselbe viel zu erhaben und groß wäre, sofort Stillschweigen auf. Diese Zurückhaltung fachte seine Neugier an, und in seiner Eigenliebe wünschte es sehnlichst den Augenblick herbei, wo es dieses Geheimniß kennen lernen sollte, welches man ihm mit so großer Sorgfalt verbarg. Je weniger man mit ihm von Gott redete, je weniger man ihm gestattete, selbst von ihm zu sprechen, desto mehr beschäftigte es sich mit ihm; dieses Kind sah Gott schließlich überall. Bei diesem Anscheine von Geheimnißkrämerei würde ich, wenn sie gar zu unvorsichtig zur Schau träte, freilich die Befürchtung hegen, daß sie durch die allzu große Erhitzung der Einbildungskraft desjungen Mannes ihm ganz den Kopf verdrehte und daß man am Ende einen Schwärmer aus ihm machte, anstatt ihn auf den Weg des Glaubens zu bringen.
    Dergleichen ist indeß für meinen Emil, der sich niemals dazu bewegen läßt, einem Gegenstande, welcher außer den Grenzen seiner Fassungskraft liegt, Aufmerksamkeit zu schenken, und deshalb solche Dinge, die er nicht versteht, mit der gründlichsten Gleichgültigkeit anhört, durchaus nicht zu befürchten. Es gibt so Vielerlei, von dem er zu sagen gewohnt ist: »Das gehört nicht zum Kreise meiner Kenntnisse,« daß er durch einen Gegenstand mehr nicht leicht in Verlegenheit gesetzt wird, und sobald er beginnt, über diese großen Fragen in Unruhe zu gerathen, so geschieht es nicht deshalb, weil sie in seiner Gegenwart aufgestellt sind, sondern weil der natürliche Fortschritt seiner Einsichten seine Forschungen nach dieser Richtung hinlenkt.
    Wir haben bereits gesehen, auf welchem Wege sich der herangereifte menschliche Geist diesen Geheimnissen nähert, und ich will gern einräumen, daß er, wenn er nur der Natur folgte, selbst im Schooße der Gesellschaft, erst in einem vorgeschrittenen Lebensalter dahin gelangen würde. Weil sich jedoch in dieser nämlichen Gesellschaft unvermeidliche Ursachen vorfinden, welche den Fortschritt der Leidenschaften beschleunigen, so würde man, wenn man nicht den Fortschritt der Einsichten, welche zur Zügelung unserer Leidenschaften dienen, in gleichem Verhältnisse beschleunigte, in Wirklichkeit von der Ordnung der Natur abweichen, und das Gleichgewicht würde aufgehoben werden. Wenn man eine allzu schnell fortschreitende Entwickelung nicht zu mäßigen vermag, so muß man Alles, was damit naturgemäß in Verbindung steht, in gleicher Geschwindigkeit weiter zu führen suchen, so daß nirgends die Ordnung gestört, das, was die Bestimmung hat, gleichmäßig fortzuschreiten, nicht von einander geschieden werde und der Mensch, der in allen Lebensmomenten nur ein einziges Ganzes bildet, hinsichtlich der Entwickelung seiner einzelnen Fähigkeiten nicht einen verschiedenen Standpunkt einnehme.
    Ich sehe schon im Geiste, welche Schwierigkeiten sichhier erheben, Schwierigkeiten, die um so größer sind, als sie weniger in den Dingen, als vielmehr auf dem Kleinmuthe derer beruhen, die sie nicht zu heben wagen. Unternehmen wir zunächst das Wagestück, sie uns wenigstens klar zu machen. Ein Kind soll in der Religion seines Vaters erzogen werden. Man liefert ihm stets den vollkommenen Beweis, daß diese Religion, was für eine es auch immer sei, die einzig wahre ist, alle andern dagegen voller Überspanntheiten und Ungereimtheiten sind. Was diesen Punkt anlangt, so hängt

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