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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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freiwillige Bewegungen gebe. Darauf kann ich nur erwidern, daß ich es weiß, weil es mir mein Gefühl sagt. Ich will meinen Arm bewegen, und ichbewege ihn, ohne daß diese Bewegung von einer andern unmittelbaren Ursache als von meinem Willen ausgeht. Umsonst würde man den Versuch machen, dies Gefühl in mir durch Vernunftgründe zu ertödten; es ist stärker als die überzeugendsten Gründe. Es würde eben so leicht sein, mich davon zu überführen, daß ich gar nicht existire.
    Gäbe es gar keine Freiwilligkeit, weder in den Handlungen der Menschen noch in irgend etwas, was auf Erden geschieht, so würde sich dadurch die Verlegenheit, die erste Ursache aller Bewegung aufzufinden, nur noch steigern. Was mich betrifft, so fühle ich mich wenigstens so vollkommen davon überzeugt, daß Ruhe der natürliche Zustand der Materie ist und daß sie durch sich selbst keine Fähigkeit, thätig zu sein, besitzt, daß ich beim Anblick eines sich in Bewegung befindenden Körpers sofort den Schluß ziehe, der Körper müsse entweder belebt, oder die Bewegung ihm mitgetheilt sein. Mein Geist sträubt sich gegen die Idee einer nicht organisirten, sich durch sich selbst bewegenden oder irgend eine Thätigkeit hervorrufenden Materie.
    Dieses sichtbare Weltall ist nun Materie, zerstreute und todte Materie, [25] der es in ihrer Totalität an Einheit, Organisation und gemeinsamer Empfindung der Theile eines belebten Körpers fehlt, da es gewiß ist, daß wir, die wir doch auch Theile sind, uns keineswegs im Ganzen fühlen. Dieses nämliche Weltall ist nun in Bewegung, und in seinen regelmäßigen, gleichförmigen, unwandelbaren Gesetzen unterworfenen Bewegungen zeigt sich nichts von jener Freiheit, die sich in den freiwilligen Bewegungen der Menschen und Thiere zu erkennen gibt. Die Welt ist folglich nicht ein großes Thier, das sich von selbst bewegt; ihren Bewegungen liegt mithin irgend eine außer ihr zu suchende Ursache zu Grunde, die ich nichtwahrnehme. Trotzdem macht mir meine innere Ueberzeugung diese Ursache so begreiflich, daß ich nicht sehen kann, wie die Sonne ihre Bahn am Himmel beschreibt, ohne mir eine treibende Kraft vorzustellen, daß es mir bei der Umdrehung der Erde vorkommt, als fühlte ich eine Hand, die sie umdrehte.
    Was für einen Vortheil würde es mir bringen, wenn ich mich genöthigt sähe, allgemeine Gesetze anzunehmen, deren Hauptbeziehungen zu der Materie ich nicht kenne? Diese Gesetze haben, da sie keine wirkliche Wesen, keine Substanzen sind, folglich einen andern Grund, der mir unbekannt ist. Erfahrung und Beobachtung haben uns mit den Gesetzen der Bewegung bekannt gemacht. Diese Gesetze zeigen uns die Wirkungen, ohne uns die Ursachen zu erklären; sie genügen nicht, uns das Weltsystem und den Lauf des Weltalls klar zu machen. Cartesius bildete Himmel und Erde aus Würfeln; er war indeß nicht im Stande, diesen Würfeln den ersten Anstoß zu gehen noch seine Centrifugalkraft anders als vermittelst einer Rotationsbewegung in Gang zu bringen. Newton fand das Gesetz der Anziehungskraft; aber die Anziehungskraft allein würde die Welt bald in eine unbewegliche Masse verwandeln; um die himmlischen Körper sich in Curven bewegen zu lassen, mußte er jenem Gesetze deshalb noch eine abstoßende Kraft hinzufügen. Möge uns Cartesius jedoch nur erklären, auf welchem physischen Gesetze seine Wirbelbewegung beruht; möge Newton uns die Hand zeigen, welche die Planeten auf die Tangenten ihrer Bahnen schleuderte.
    Die ersten Ursachen der Bewegung sind nicht in der Materie selbst vorhanden; dieselbe erhält die Bewegung und theilt sie mit, aber sie ist nicht der Urquell derselben. Je mehr ich Wirkung und Gegenwirkung der auf einander wirkenden Naturkräfte beobachte, desto mehr überzeuge ich mich, daß man regelmäßig von Wirkung zu Wirkung bis zu einem Willen als erster Ursache zurückgehen muß; denn eine fortlaufende Kette von Ursachen bis ins Unendliche voraussetzen, heißt im Grunde genommen gar keine voraussetzen. Mit einem Worte, jede Bewegung, welchenicht von einer andern hervorgebracht wird, kann nur von einem Acte freien Willens ausgehen. Bei den leblosen Körpern zeigt sich Thätigkeit nur durch die ihnen mitgeteilte Bewegung, wie es denn überhaupt ohne Willen keine eigentliche Thätigkeit gibt. Das ist mein erster Grundsatz. Ich glaube also, daß ein Wille das Weltall bewegt und die Natur beseelt. Dies ist mein erstes Dogma oder mein erster Glaubensartikel.
    Wie bringt nun ein Wille eine physische

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