Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
und körperliche Bewegung hervor? Darüber ist mir nichts bekannt, aber ich erfahre es an mir selbst, daß er sie erzeugt. Ich will handeln, und ich handle; ich will meinen Körper bewegen, und mein Körper bewegt sich; daß aber ein lebloser und in Ruhe befindlicher Körper von selbst in Bewegung gerathe oder die Bewegung hervorrufe, das ist unbegreiflich und beispiellos. Der Wille ist mir nur seinen Aeußerungen, nicht seiner Natur nach bekannt. Ich kenne diesen Willen als Quelle der Bewegung; dagegen die Materie als Ursache der Bewegung begreifen, heißt augenscheinlich eine Wirkung ohne Ursache, heißt absolut nichts begreifen.
    So wenig ich zu begreifen vermag, wie mein Wille meinen Körper bewegt, eben so wenig kann ich mir erklären, wie meine Sinneseindrücke meine Seele bewegen. Ich kann nicht einmal einen Grund dafür finden, weshalb man das eine dieser Geheimnisse für erklärlicher gehalten hat als das andere. Ich meinerseits muß gestehen, daß mir, ob ich mich nun passiv verhalte oder in Thätigkeit befinde, die Möglichkeit der Verbindung beider Substanzen durchaus unbegreiflich erscheint. Es ist äußerst befremdend, daß man gerade von dieser Unbegreiflichkeit selbst ausgeht, um die beiden Substanzen zu verschmelzen, als ob Operationen so verschiedenartiger Naturen sich besser an einem, als an zwei Subjecten erklären ließen.
    Das Dogma, welches ich so eben entwickelt habe, ist, wie ich gern zugebe, dunkel, hat aber am Ende doch immer einen Sinn und behauptet nichts, was der Vernunft und der Erfahrung widerspricht. Läßt sich vom Materialismus dasselbe sagen? Ist es nicht klar, daß die Bewegung, wennsie in der That eine wesentliche Eigenschaft der Materie ausmachte, von derselben untrennbar sein würde, daß sie stets in gleicher Stärke auftreten, in jedem Theile der Materie die nämliche sein müßte, daß sie sich nicht anderen Körpern mittheilen, sich weder vermehren noch vermindern könnte, und daß es sogar unmöglich sein würde, sich die Materie in Ruhe zu denken? Wenn man mir einreden will, die Bewegung bilde zwar keine wesentliche Eigenschaft der Materie, sei ihr indeß nothwendig, so geht man darauf aus, mich mit Redensarten abzuspeisen, deren Widerlegung leichter sein würde, wenn sie nur ein wenig mehr Sinn hätten. Denn entweder findet die Bewegung der Materie in letzterer selbst ihre Ursache, und dann ist sie ihr wesentlich, oder sie wird durch eine außer derselben liegende Ursache bewirkt, und alsdann ist sie ihr nur in so fern nothwendig, als die bewegende Ursache auf sie wirkt, und damit erhebt sich die erste Schwierigkeit von Neuem.
    Die allgemeinen und abstracten Ideen sind die Quelle der größten menschlichen Irrthümer; noch nie haben wir der dunklen Sprache der Metaphysik die Entdeckung auch nur einer einzigen Wahrheit zu verdanken gehabt, dagegen hat sie die Philosophie mit Absurditäten erfüllt, deren man sich schämt, sobald man sie ihrer schwülstigen Worte entkleidet. Sage mir, mein Freund, ob man deinen Geist in der That mit einer wirklichen Idee befruchtet, wenn man dir von einer blinden Kraft erzählt, welche sich über die ganze Natur verbreitet? Man bildet sich ein mit den vagen Worten »allgemeine Kraft«, »notwendige Bewegung« etwas zu sagen, und sagt doch durchaus nichts. Die Idee der Bewegung ist mit der Idee der Versetzung von einem Orte an den andern identisch. Es gibt keine Bewegung ohne irgend eine Richtung; denn ein individuelles Wesen kann sich nicht nach allen Richtungen gleichzeitig bewegen. Nach welcher Richtung muß sich nun die Materie notwendigerweise bewegen? Hat die ganze Materie in ihrer Gesammtheit eine gleichmäßige Bewegung, oder hat jedes Atom seine eigene? Nach der ersten Vorstellung müßte das ganze Weltall eine feste und untheilhare Masse bilden, nach der zweiten könnte man es sichnur als ein zerstreutes und so zusammenhangloses Fluidum denken, daß sich niemals zwei Atome vereinigen könnten. Nach welcher Richtung hin wird diese der ganzen Materie gemeinsame Bewegung vor sich gehen? In gerader Linie oder kreisförmig, nach oben oder nach unten, nach rechts oder nach links? Wenn dagegen jedes Molecül der Materie seine besondere Richtung hat, wo wird man die Ursachen aller dieser Richtungen und aller dieser Unterschiede zu suchen haben? Drehte sich jedes Atom oder Molecül der Materie nur um seinen eigenen Mittelpunkt, so würde keines seinen Platz verlassen, und eine gemeinsame Bewegung fände demnach nicht statt, und selbst dann

Weitere Kostenlose Bücher