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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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gebildet hätten, so würde ich sicherlich auch nicht einen einzigen Schritt thun, um erst zu untersuchen, ob ich es mit einer Lüge zu thun hätte. Man darf mir nicht entgegen halten, daß ich die Menge der Versuche vergesse. Wie viel solcher Versuche müßte ich wol annehmen, um an die Wahrscheinlichkeit der Combination glauben zu können! Ich meinestheils, der ich nur einen einzigen anerkenne, kann dreist das Unendliche gegen Eins wetten, daß sie nicht das Ergebniß eines Zufalls ist. Haltet damit den Umstand zusammen, daß Combinationen und Zufälligkeiten stets nur solche Erzeugnisse hervorzubringen vermögen, welche die Natur der vereinigten Elemente theilen, daß Organisation und Leben niemals aus einer zufälligen Verbindung von Atomen hervorgehen kann und daß ein Chemiker in seinem Schmelztiegel durch keine Mischung empfindende und denkende Wesen erzeugen wird. [26]
    Mit Erstaunen und fast mit Verdruß habe ich Nieuwentit gelesen. Wie hat sich dieser Mann an die Abfassung eines Buches über die Wunder der Natur, welche von der Weisheit des Schöpfers Zeugniß ablegen, heranwagen können? Und wetteiferte sein Werk an Größe mit der Welt, so wäre er doch nicht im Stande, seinen Gegenstand zu erschöpfen. Sobald man sich hierbei auf Einzelheiten einlassen will, entzieht sich der Beobachtung das größte Wunder, die Harmonie und der Einklang des Ganzen. Die Erzeugung der lebendigen und organischen Wesen bildet schon allein einen Abgrund für den menschlichen Geist. Die unübersteigliche Schranke, welche die Natur zwischen den verschiedenen Arten errichtet hat, damit sie sich nicht vermischen, beweist uns ihre Absichten mit völliger Klarheit. Sie hat sich nicht darauf beschränkt, die Ordnung festzustellen, sondern auch bestimmte Maßregeln getroffen, um diese Ordnung vor jeder Störung zu bewahren.
    Es gibt in dem ganzen Weltall kein Wesen, welches man nicht in gewisser Beziehung als den gemeinsamen Mittelpunkt aller übrigen betrachten könnte, um welchen sie alle dergestalt geordnet sind, daß sie sich sämmtlich gegenseitig wie Zweck und Mittel verhalten. In der Unendlichkeit dieser Beziehungen, von denen sich auch keine einzige in der Menge verliert oder Veranlassung zu Verwechslungen gibt, verwirrt und verliert sich der Geist. Welch eine Thorheit, anzunehmen, daß man all diese Harmonie von dem blinden Mechanismus der zufällig bewegten Materie herzuleiten vermöge! Vergeblich werden diejenigen, welche die Absicht des Planes läugnen, der sich in den Verhältnissen aller Theile dieses großen Ganzen offenbart, ihr sinnloses Geschwätz durch Abstractionen, Coordinationen, allgemeine Grundsätze, sinnbildliche Ausdrückezu verhüllen suchen; was sie auch immer aufstellen mögen, so wird es mir doch stets unmöglich sein, mir ein System so fest geordneter Wesen ohne eine geistige Kraft zu denken, von welcher die Ordnung ausgeht. Es hängt nicht von mir ab, zu glauben, daß die passive und todte Materie im Stande gewesen sei, lebende und fühlende Wesen hervorzubringen, daß ein blinder Zufall intelligente Wesen habe erzeugen können, daß das, was nicht denkt, vermocht habe Schöpfer denkender Wesen zu sein.
    Ich glaube demnach, daß die Welt von einem mächtigen und weisen Willen regiert wird; ich sehe es, oder empfinde es vielmehr, und dieses Wissen ist für mich von Wichtigkeit. Ist nun aber eben diese Welt von Ewigkeit her oder ist sie erschaffen? Gibt es einen einzigen Urquell aller Dinge? Gibt es deren zwei oder mehrere, und welches ist ihre Natur? Ich weiß es nicht, und was verschlägt es auch? Je nach der Zunahme meines Interesses für diese Kenntnisse werde ich mich auch bestreben sie zu erwerben. Bis dahin enthalte ich mich aber aller müßigen Fragen, die meine Eigenliebe beunruhigen können, für meinen Wandel dagegen nutzlos und für meine Vernunft zu hoch sind.
    Bleiben Sie stets eingedenk, daß ich meine Ansicht durchaus nicht lehren, sondern nur auseinandersetzen will. Sei die Materie ewig oder erschaffen, habe sie einen passiven Urgrund oder gar keinen, immer steht so viel fest, daß das Ganze eine Einheit bildet und ein einziges geistiges Wesen offenbart, denn ich gewahre nichts, was nicht in diesem Systeme seinen Platz einnähme und nicht demselben Zwecke, nämlich der Erhaltung des Ganzen in der bestehenden Ordnung, dienen müßte. Dieses Wesen nun, welches Willen und Macht hat, dieses selbsttätige Wesen, dieses Wesen endlich, was es auch immer sei, welches das Weltall bewegt und

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