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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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darin zu suchen ist, daß sie ihm auf seiner Altersstufe unverständlich sind, und daß es für jedes Lebensalter von Wichtigkeit ist, auch das an sich Vernünftige stets in solche Formen einzukleiden, die im Stande sind, für den Gegenstand Interesse zu erwecken? Redet mit Ernst zu ihm, wenn es sich nöthig macht; aber das, was ihr ihmsagt, muß jedesmal so fesselnd sein; daß er sich angetrieben fühlt, euch Gehör zu schenken. Bekämpfet seine Begierden nicht durch lieblose Schroffheit; erstickt seine Phantasie nicht, sondern leitet dieselbe vielmehr, aus Besorgniß, daß sie durch ihre traurigen Ausgeburten seine Sinnlichkeit noch mehr erhitzen könnte. Redet mit ihm von Liebe, von Frauen und Lustbarkeiten; tragt Sorge, daß er in euren Unterhaltungen einen Reiz findet, der sein junges Herz angenehm berührt. Unterlaßt nichts, was euch zu seinem Vertrauten machen kann; nur in dieser Stellung werdet ihr in Wahrheit Gewalt über ihn besitzen. Dann braucht ihr keine Furcht mehr zu hegen, daß ihm eure Unterhaltungen Langeweile bereiten werden. Er wird euch mehr Veranlassung zum Sprechen geben, als euch vielleicht angenehm ist.
    Ich zweifle keinen Augenblick, daß Emil, wenn ich es verstanden habe, unter Befolgung dieser Grundsätze alle nöthige Vorsichtsmaßregeln zu treffen und ihm gegenüber eine Sprache zu führen, die die Umstände so wie sein Fortschreiten im Alter mit Recht erfordern, von selbst dahin gelangen wird, wohin ich ihn bringen möchte, daß er sich nämlich gern unter meine Obhut stellt, und, betroffen von den Gefahren, von welchen er sich umringt sieht, mit der ganzen Wärme seines Alters zu mir sagt: »O mein Freund, mein Beschützer, mein Lehrer, behalten Sie nach wie vor die Autorität, auf welche Sie gerade in dem Zeitpunkte verzichten wollen, wo es mein eigener Vortheil am meisten erheischt, daß dieselbe in Ihren Händen bleibe. Bisher besaßen Sie dieselbe nur in Folge meiner Schwäche, von nun an sollen Sie sie mit meinem eigenen Willen ausüben, und sie wird mir deshalb nur um so heiliger sein. Vertheidigen Sie mich gegen alle Feinde, die mich umlagern, hauptsächlich aber gegen diejenigen, die ich in mir trage und die mich verrathen. Wachen Sie über Ihr Werk, damit es Ihrer würdig bleibe. Ich will Ihren Gesetzen gehorchen, ich will es immer; es ist mein unerschütterlicher Wille. Sollte ich Ihnen je ungehorsam sein, so würde es unabsichtlich geschehen. Machen Sie mich frei, indem Sie mich gegen meine Leidenschaften schützen,deren ich mich nicht selbst erwehren kann. Halten Sie mich davon zurück, ihr Sklave zu werden, zwingen Sie mich, meiner selbst in so weit Herr zu sein, daß ich nicht meinen Sinnen, sondern meiner Vernunft gehorche.«
    Habt ihr nun aber euren Zögling bis zu diesem Punkte gebracht (und die Schuld wird lediglich an euch liegen, wenn er nicht dahin gelangt), dann hütet euch ja, ihn allzu schnell beim Worte zu nehmen, denn ihr liefet sonst Gefahr, daß er sich, sobald ihm je eure Herrschaft doch gar zu streng erschiene, für berechtigt hielte, sich ihr zu entziehen, indem er euch beschuldigte, ihr hättet sein Versprechen erschlichen. In einem solchen Augenblicke ist Zurückhaltung und Würde am Platze, und dieser Ton wird ihm um so mehr Ehrerbietung abnöthigen, als es das erste Mal sein wird, daß er ihn euch annehmen sieht. Ihr müßt deshalb zu ihm sagen: »Junger Mann, du übernimmst mit großer Leichtfertigkeit schwere Verbindlichkeiten; ehe du das Recht hattest, sie freiwillig zu übernehmen, hättest du sie genau kennen lernen sollen. Du weißt nicht, mit welchem leidenschaftlichen Eifer die Sinne junge Leute deines Alters unter den Lockungen des Vergnügens in den Abgrund des Lasters reißen. Du hast, wie ich wol weiß, kein verworfenes Gemüth. Dein einmal gegebenes Wort wirst du nie brechen, aber wie oft wirst du vielleicht bedauern, es gegeben zu haben! Wie oft wirst du den verwünschen, der dich lieb hat, wenn er, um dich den Nebeln, die dich bedrohen, zu entreißen, sich gezwungen sehen wird, deinem Herzen wehe zu thun! Wie Ulysses, beim Gesange der Sirenen von glühender Leidenschaft ergriffen, seine Begleiter aufforderte, seine Fesseln zu lösen, so wirst auch du, durch den Reiz des Vergnügens verführt, die Bande zerreißen wollen, die dich beengen, wirst mich mit deinen Klagen verfolgen, wirst mir gerade dann Tyrannei vorwerfen, wenn ich am zärtlichsten mit dir beschäftigt sein werde. Während ich nur darauf sinne, dich glücklich zu machen,

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