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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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von Belehrung hat ihre besonders geeignete Zeit, die man kennen, und ihre Gefahren, die man vermeiden muß. Letztere zeigen sich nun am zahlreichsten gerade bei der Belehrung, die wir jetzt unserem Zöglinge ertheilen müssen, doch setze ich den meinigen denselben nicht aus, ohne zu seinem Schutze die nöthigen Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen.
    Wenn sich meine Methode auch nur an einem einzigen Gegenstande in jeder Beziehung bewährt, wenn sie einem Uebelstande vorbeugt, indem sie einen andern abwendet, dann ist sie nach meinem Urtheile gut und ich habe das Richtige getroffen. Das scheint mir das Auskunftsmittel zu beweisen, welches sie mir in diesem Falle an die Hand gibt. Wenn ich meinem Schüler gegenüber streng und kalt auftreten will, so werde ich sein Vertrauen verlieren und bald wird er sich vor mir verbergen. Will ich dagegen gefällig und nachsichtig sein oder gar die Augen zudrücken, welchen Nutzen hat er dann davon, daß er sich unter meiner Obhut befindet? Alsdann billige ich förmlich seine Ausschweifung und erleichtere nur sein Gewissen auf Kosten des meinigen. Führe ich ihn in die Welt lediglich in der Absicht ein, ihn zu unterrichten, so wird er sich mehr unterrichten, als mir wünschenswerth ist. Halte ich ihn aber von derselben bis zum letzten Augenblicke fern, was wird er dann von mir gelernt haben? Alles vielleicht, nur nicht die Kunst, die der Mensch und Bürger am nöthigsten gebraucht, die Kunst, mit seinen Nebenmenschen leben zu können. Verfolge ich einen zu fernen Nutzen, so wird er demselben nicht den geringsten Werth beimessen, nur das Gegenwärtige hat für ihn Werth. Fühle ich mich damit zufrieden gestellt, daß ich ihm Zerstreuungen verschaffe, welchen Gewinn hat er dann davon? Statt sich zu unterrichten, verweichlicht er sich.
    Nichts von alledem. Mein Auskunftsmittel beseitigt alle diese Uebelstände. »Dein Herz,« sage ich zu dem Jünglinge, »bedarf einer Gefährtin; laß uns eine suchen,die für dich paßt. Vielleicht ist sie nicht so leicht aufzufinden, denn das wahre Verdienst ist stets selten. Indeß wollen wir uns weder übereilen noch uns abschrecken lassen. Unzweifelhaft gibt es eine, und wir werden sie, oder wenigstens doch eine andere, welche ihr so weit als möglich nahe kommt, schließlich schon noch finden.« Mit dieser für ihn so schmeichelhaften Absicht führe ich ihn in die Welt ein. Was brauche ich wol noch weiter darüber zu sagen? Seht ihr nicht ein, daß ich damit Alles gethan habe?
    Ihr könnt euch selbst vorstellen, ob es mir gelingen wird, mir bei Schilderung seiner Geliebten Gehör zu verschaffen, ob ich ihm die Eigenschaften, die er lieben soll, werde lieb und angenehm machen können, und ob ich im Stande sein werde, alle seine Gefühle dem zuzuwenden, was er suchen oder fliehen soll. Ich müßte der Ungeschickteste der Menschen sein, wenn ich ihm nicht schon im Voraus eine Neigung einzuflößen verstände, ohne daß er wüßte, zu wem. Es verschlägt nichts, daß der Gegenstand, den ich ihm schildere, nur in meiner Phantasie existirt; es genügt, daß er ihn mit Widerwillen gegen die erfüllt, welche ihm sonst verführerisch erscheinen könnten, und daß sich ihm überall Vergleichungspunkte darbieten, die seinem Ideale vor den wirklichen Gegenständen, die auf ihn Eindruck machen, den Vorzug sichern. Und was ist die wahre Liebe denn überhaupt anders als Trugbild, Lüge und Täuschung? Man liebt ungleich mehr das Bild, das man sich selbst ausmalt, als den Gegenstand, auf welchen man es überträgt. Sähe man den geliebten Gegenstand genau so, wie er wirklich ist, so würde es keine Liebe mehr auf Erden geben. Wenn man zu lieben aufhört, so bleibt die Person, welche man liebte, dieselbe, die sie zuvor war, aber man blickt sie nicht mehr mit denselben Augen an. Der blendende Schleier fällt und die Liebe schwindet. Dadurch aber, daß ich ein Bild meiner eigenen Phantasie entwerfe, bin ich der Vergleichungspunkte Herr und verhindere leicht die Illusion, mit der uns wirkliche Gegenstände oft erfüllen.
    Gleichwol wünsche ich nicht, daß man einen jungenMann täusche und ihm ein Muster von Vollkommenheit entwerfe, das gar nicht existiren kann; indeß werde ich die Mängel seiner Geliebten so auswählen, daß sie ihm gefallen, nicht unangenehm sind und dazu dienen, die seinigen zu verbessern. Eben so wenig wünsche ich, daß man ihn durch die fälschliche Versicherung belüge, der geschilderte Gegenstand sei in Wirklichkeit vorhanden. Findet er an dem

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