Emil oder Ueber die Erziehung
werde ich mir deinen Haß zuziehen. O mein Emil, ich werde den Schmerz, mich von dir gehaßt zu wissen, niemals ertragen; um diesen Preis ist mir selbst dein Glück zu theuer. Guter Jüngling,begreifst du nicht, daß du durch die übernommene Verpflichtung, mir Gehorsam zu leisten, auch mich gleichzeitig verpflichtest, dich zu führen, mich zu vergessen, um mich ganz dir widmen zu können, weder auf dein Klagen noch auf dein Murren zu hören und unaufhörlich gegen deine und meine Wünsche anzukämpfen? Du legst mir ein Joch auf, das härter als das deinige ist. Bevor wir uns Beide diese Last aufbürden, laß uns erst unsere Kräfte prüfen. Nimm dir Bedenkzeit und laß sie auch mir und wisse, daß, wer sich am längsten besinnt, ein Versprechen abzulegen, es auch stets am treuesten halten wird.«
Laßt es euch aber auch selbst gesagt sein: je bedenklicher ihr bei der Uebernahme einer Verpflichtung zu Werke geht, desto mehr erleichtert ihr deren Ausführung. Es ist von großer Bedeutung, daß der junge Mensch es selbst fühlt, wie viel er verspricht, und daß ihr trotzdem noch mehr versprecht. Ist aber der Augenblick einmal gekommen und hat er den Contract gleichsam unterzeichnet, dann führet eine andere Sprache und laßt durch eure Herrschaft so viel Milde hindurchleuchten, als ihr vorher Strenge angekündigt habt. Saget zu ihm: »Mein junger Freund, es mangelt dir zwar an Erfahrung, indeß habe ich dafür Sorge getragen, daß es dir nicht an Vernunft mangelt. Du bist im Stande überall klar einzusehen, welche Beweggründe mich bei meinem Verfahren geleitet haben. Hierzu ist nur nöthig, daß du wartest, bis du bei kaltem Blute bist. Zuerst gehorche mir jederzeit, ehe du von mir Auskunft über meine Anordnungen verlangst. Ich werde immer bereit sein, dir jeden Aufschluß zu geben, sobald du im Stande sein wirst, mich ruhig anzuhören, und ich werde nie Bedenken tragen, dich zum Richter zwischen dir und mir zu machen. Du versprichst, mir gehorsam zu sein, und ich meinerseits verspreche dir, diesen Gehorsam nur dazu zu benutzen, daß ich dein wahres Glück begründe. Als Bürgschaft meines Versprechens kann dir das glückliche Loos dienen, das dir bis jetzt zu Theil geworden ist. Findest du einen Altersgenossen, dessen Leben eben so glücklich verflossen ist wie das deinige, dann höre ich auf, dir etwas zu versprechen.«
Nachdem ich meine Autorität auf solche Weise fest begründet habe, wird es meine Hauptsorge sein, der Nothwendigkeit, sie in Anwendung zu bringen, vorzubeugen. Ich werde nichts unversucht lassen, um mich mehr und mehr in seinem Vertrauen zu befestigen, mich zum Vertrauten seines Herzens und zum Herrn seiner Vergnügungen zu machen. Weit davon entfernt, die Neigungen seines Alters zu bekämpfen, werde ich mir vielmehr aus ihnen selber die Mittel zu verschaffen suchen, die sie meiner Herrschaft unterwerfen können. Ich werde auf seine Ansichten eingehen, damit ich sie zu lenken im Stande bin und werde für ihn keineswegs auf Kosten seines gegenwärtigen Glückes einem entfernten nachjagen. Es ist nicht meine Absicht, daß er dereinst, sondern daß er wo möglich immer glücklich sei.
Diejenigen, welche die Jugend durch verständige Leitung vor den Schlingen der Sinnlichkeit zu bewahren wünschen, pflegen sie mit Abscheu vor der Liebe zu erfüllen und möchten es ihr gern als ein Verbrechen anrechnen, in ihrem Alter auch nur einen Gedanken daran zu hegen, als ob die Liebe nur für Greise bestimmt wäre. Allen diesen auf Täuschung ausgehenden Lehren, deren Unwahrheit das Herz doch nachweist, wohnt keine überzeugende Kraft bei. Der junge Mann, welcher von einem sichreren Instinct geleitet wird, lacht im Geheimen über diese langweiligen Grundsätze, stellt sich auch, als ob er ihre Richtigkeit einsähe, wartet aber in der That nur auf den Augenblick, wo er den Beweis ihrer Nutzlosigkeit liefern kann. Alles dies ist wider die Natur. Auf dem entgegengesetzten Wege werde ich dasselbe Ziel mit größerer Sicherheit erreichen. Ich werde kein Bedenken tragen, das süße Gefühl in ihm, auf das all sein Sehnen gerichtet ist, zu nähren; ich werde es ihm als das höchste Glück des Lebens ausmalen, weil es dies ja wirklich ist, und es ist mein Wunsch, daß er sich demselben bei meiner Schilderung hingebe. Indem ich ihm zum Bewußtsein bringe, mit welchem Reize die Vereinigung der Herzen den Sinnengenuß erhöht, flöße ich ihm Ekel vor der Ausschweifung ein und mache ihn weise, während ich sein Herz mit
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