Emil oder Ueber die Erziehung
Jedermann zur Ausübung der Jagd berechtigt ist, und wo ich mich diesem Vergnügen, ohne Verdrießlichkeiten befürchten zu müssen, hingeben kann. Das Wild wird allerdings seltener sein, dafür wird es aber auch eine desto größere Geschicklichkeit erfordern, es aufzusuchen, und mehr Vergnügen bereiten, es zu erlegen. Ich werde stets des Herzklopfens eingedenk bleiben, von welchem mein Vater beim ersten Auffliegen eines Rebhuhnes befallen wurde, und des Entzückens, welches sich seiner bemächtigte, als er den Hasen fand, den er den ganzen Tag gesucht hatte. Ja, ich behaupte, daß er, allein mit seinem Hunde, die Flinte über der Schulter, Jagdtasche und Pulverhorn an der Seite, des Abends mit seiner geringen Beute, trotz aller Ermüdung und aller davongetragenen Dornenrisse, weit zufriedener mit seinem Tagewerke heimkam, als alle euere weibischen Jäger, welche, auf schnellem Rosse, zwanzig geladene Gewehre hinter sich, nichts zu thun haben, als stets ein frisch geladenes zu nehmen, abzufeuern und Allesum sich her ohne Kunst, ohne Ruhm und fast ohne Anstrengung zu tödten. Das Vergnügen ist deshalb also nicht geringer, während die Uebelstände gleichzeitig fern gehalten werden, wenn man weder sein Jagdterrain zu bewachen, noch Wilddiebe zu bestrafen, noch Unglückliche zu quälen hat. Darin liegt doch wol ein triftiger Grund, meiner Art, mir Vergnügungen zu verschaffen, den Vorzug zu geben. Wie dem nun auch immer sein mag, man quält die Menschen nicht unaufhörlich, ohne sich nicht selbst dadurch das Leben recht unbehaglich zu machen; die anhaltenden Verwünschungen des Volkes müssen den Genuß des Wildes doch früher oder später verbittern.
Noch einmal sei es gesagt: die Vergnügungen, welche man für sich allein beansprucht, sind der Tod des Vergnügens. Zu den wahren Vergnügungen können nur die gerechnet werden, welche man mit dem Volke theilt; diejenigen, welchen man sich allein hingeben will, verlieren den Charakter des Vergnügens. Wenn die Mauern, welche ich um meinen Park aufführen lasse, demselben einen düstern, klösterlichen Anstrich geben, so habe ich mich mit großen Kosten nur um das Vergnügen gebracht; ihn als Spaziergang benutzen zu können, weshalb ich mich genöthigt sehe, ihn in der Ferne zu suchen. Der Dämon des Besitzes verpestet Alles, was er berührt. Ein Reicher will überall den Herrn spielen und befindet sich nirgends wohl, wo er es nicht ist. So ist er genöthigt, stets vor sich selber auf der Flucht zu sein. Was mich jedoch anlangt, so werde ich in meinem Reichthume genau dasselbe Verfahren beobachten, wie in meiner Armuth. Schon jetzt durch fremdes Gut reicher, als ich es je durch mein eigenes Gut sein werde, bemächtige ich mich alles dessen, was mir in meiner Nachbarschaft zusagt. Kein Eroberer wird entschlossener auftreten als ich. Selbst fürstliches Gut eigne ich mir zu. Ohne Unterschied nehme ich jede offene Landschaft, die meinen Beifall findet, in Besitz, lege ihr einen Namen bei, erkläre die eine zu meinem Park, die andere zu meiner Terrasse, und bin so der Herr derselben. Von nun an lustwandle ich darin ungescheut; oft kehre ich dahin zurück, um meinen Besitz zu behaupten; so oft es mirbehagt, benutze ich den Grund und Boden, indem ich mich auf ihm ergehe, und man wird nie im Stande sein, mich davon zu überzeugen, daß der Titularherr des Grundstücks, das ich mir aneigne, aus dem Gelde, welches er daraus erzielt, einen größeren Nutzen ziehe, als mir seine Ländereien gewähren. Sollte man mir durch Gräben und Hecken Hindernisse in den Weg legen, so macht mir das wenig Kummer. Ich nehme meinen Park auf meine Schultern und weise ihm einen anderen Platz an. An tauglichen Stellen fehlt es in der Umgegend nicht, und es wird mir lange Zeit möglich sein, meine Nachbarn zu plündern, ehe es mir an einem Zufluchtsorte fehlen wird.
Obiges kann als ein geringer Versuch über den wahren Geschmack in der Wahl der wirklich angenehmen Zeitvertreibe gelten; es erhellt daraus, in welchem Geiste man genießen muß; alles Uebrige ist nur Illusion, Hirngespinnst, thörichte Eitelkeit. Wer sich nicht an diese Regeln hält, wird sein Gold, er sei so reich als er wolle, für einen Kehrichthaufen wegwerfen und nie den Werth des Lebens kennen lernen.
Man wird mir ohne Zweifel den Einwurf machen, daß dergleichen Vergnügungen allen Menschen zugänglich sind, und daß man, um sich ihren Genuß zu verschaffen, nicht reich zu sein brauche. Das ist es gerade, worauf ich kommen
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