Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
wollte. Man hat Vergnügen, sobald man es haben will; lediglich die herkömmliche Meinung ist es, die uns Alles so schwer macht und das Glück von uns scheucht. Es ist hundertmal leichter, glücklich zu sein, als es zu scheinen. Ein Mann, der Geschmack besitzt und der Sinnlichkeit in richtiger Weise ergeben ist, kann den Reichthum entbehren; für ihn genügt es, frei und sein eigener Herr zu sein. Wer sich der Gesundheit zu erfreuen hat und keinen Mangel an den nöthigen Lebensbedürfnissen leidet, ist reich genug, wenn er sich in seinem Herzen von den eingebildeten Gütern loszureißen vermag. Dies ist die aurea mediocritas (die goldene Mittelstraße) des Horaz. Sucht deshalb, ihr Leute mit vollen Kisten und Kasten, eine andere Verwendung für euren Reichthum, denn euch Vergnügen zu verschaffen ist er unvermögend. ObwolEmil das Alles nicht besser wissen wird als ich, so hat er doch ein reineres und gesunderes Herz und wird es deshalb noch besser empfinden. Auch werden ihn alle Beobachtungen in der Welt hierin nur noch bestärken.
    Während wir in der angegebenen Weise die Zeit verleben, suchen wir beständig Sophien, ohne sie jedoch zu finden. Es war von wesentlicher Wichtigkeit, daß sie sich nicht zu schnell finden ließ, und wir haben sie deshalb auch da gesucht, wo ich mit Sicherheit annehmen konnte, daß sie nicht sein würde. [68]
    Endlich aber ist der Augenblick erschienen, wo Eile nöthig ist. Es ist jetzt an der Zeit, sie ernstlich zu suchen, weil sonst Besorgniß ist, er könnte sich selbst eine schaffen, welche er für die wahre hielte, und zu spät zur Erkenntniß seines Irrthums kommen. Lebe wohl denn, Paris, du berühmte Stadt, du geräuschvolle Stadt voller Rauch und Schmutz, in der die Frauen nicht mehr an Ehre, noch die Männer an Tugend glauben! Lebe wohl, Paris, wir suchen die Liebe, das Glück, die Unschuld; nie werden wir uns weit genug vor dir flüchten können!
    → Anmerkungen überspringen

Fünftes Buch.
    Wir sind jetzt beim letzten Acte der Jugend angelangt, noch aber stehen wir vor der Lösung des Knotens.
    Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Emil ist Mensch; wir haben ihm eine Gefährtin verheißen und müssen sie ihm nun auch geben. Diese Gefährtin ist Sophie. Wo wird sie weilen? Wo werden wir sie auffinden? Ehe wir sie finden können, müssen wir sie kennen. Laßt uns deshalb zunächst erfahren, was sie ist, dann werden wir uns ein sichereres Urtheil über ihrenAufenthaltsort bilden können. Und wenn wir sie nun auch endlich aufgefunden haben, so wird damit noch nicht Alles gethan sein. Da unser Junker, sagt Locke, im Begriffe steht, sich zu vermählen, so ist es Zeit, ihn von dem Umgange mit seiner Geliebten nicht zurückzuhalten. Und damit schließt er sein Werk. Ich meinerseits, der ich nicht die Ehre habe, einen Junker zu erziehen, werde mich wol hüten, hierin Locke’s Beispiele zu folgen.
Sophie oder das Weib
    Sophie soll ein Weib sein, wie Emil Mann ist. Sie soll nämlich Alles besitzen, was zur Beschaffenheit ihrer Gattung und ihres Geschlechtes gehört, damit sie in physischer wie moralischer Beziehung die ihr angewiesene Stellung ausfüllen kann. Es wird deshalb nothwendig sein, zunächst das Uebereinstimmende und die Verschiedenheiten ihres und unseres Geschlechtes näher zu untersuchen.
    In Allem, was nicht das Geschlecht berührt, gleicht das Weib dem Manne. Es ist mit denselben Organen, denselben Bedürfnissen und Fähigkeiten ausgestattet. Der Körper ist auf dieselbe Weise gebaut, die Glieder sind dieselben, auch deren Gebrauch ist derselbe. Die Figur ist ähnlich, kurz: unter welchen Beziehungen man Beide auch betrachten möge, sie unterscheiden sich nur durch ein Mehr oder Weniger.
    In Allem dagegen, was sich auf das Geschlecht bezieht, finden wir bei Mann und Weib neben den Aehnlichkeiten auch überall Verschiedenheiten. Ihre Vergleichung ist jedoch schwierig, weil sich schwer bestimmen läßt, was in der Beschaffenheit eines Jeden das Geschlecht angeht und was nicht. Durch die vergleichende Anatomie und selbst durch eine bloße oberflächliche Besichtigung stößt man auf allgemeine Unterschiede, die vom Geschlechte nicht abzuhängenscheinen, trotzdem aber findet eine solche Abhängigkeit statt, und zwar in Folge von Verbindungen, die wir wahrzunehmen außer Stande sind. Wir wissen eben nicht, wie weit sich diese Verbindungen erstrecken können. Das Einzige, was wir bestimmt wissen, ist, daß sich alles Gemeinsame auf die Gattung, alles Verschiedene

Weitere Kostenlose Bücher