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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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Verstellung, sondern im vollem Ernste ab. [1] Ihre Handlungsweise ist der der Tochter des Augustus gerade entgegengesetzt: Wenn das Schifflein seine Ladung hat, nehme sie keine Reisenden mehr auf. Selbst in der Freiheit ist die Zeit ihrer Willfährigkeit nur von kurzer Dauer und geht schnell vorüber. Der Instinct treibt sie und hält sie zurück. Worin wäre wol für die Frauen ein Ersatz dieses negativen Instinctes zu finden, wenn man ihnen das Schamgefühl rauben würde? Wollte man warten, bis sie sich nichts mehr aus den Männern machen, so hieße das warten, bis ihnen dieselben nichts mehr nützen können.
    Das höchste Wesen hat das Menschengeschlecht in jeder Weise bevorzugen wollen. Indem es dem Manne Neigungen ohne Maß einpflanzt, stellt es ihn zugleich unter das Gesetz, welches sie regelt, damit er frei sei und sich selbst beherrsche. Mit den maßlosen Leidenschaften verband es wiederum die Vernunft, um sie zu leiten. Den grenzenlosen Begierden, die es in dem Weibe anfachte, stellte es die Scham zur Seite, um sie in Schranken zu halten. Zum Ueberfluß hat es der guten Anwendung der verliehenen Fähigkeiten noch eine Belohnung zuerkannt, das Wohlgefallen nämlich, das man am Sittlichen empfindet,sobald man es zur Richtschnur seiner Handlungen gemacht hat. Dies Alles kann man wol mit Recht dem Instincte der Thiere gleichstellen.
    Ob nun das Weib das Verlangen des Mannes theilen möge oder nicht, es zu befriedigen Lust habe oder nicht, so weist es ihn doch beständig zurück und sucht sich zu vertheidigen, freilich nicht immer mit derselben Energie und deshalb auch nicht immer mit dem gleichen Erfolge. Soll der Angreifende den Sieg davontragen, so muß die Angegriffene es gestatten oder ihm wol gar Vorschub leisten, denn wie viele geschickte Mittel stehen nicht zu ihrer Verfügung, den Angreifenden zur Entfaltung aller seiner Kraft zu zwingen. Die freieste und süßeste aller Handlungen duldet keine wirkliche Gewaltthätigkeit; Natur und Vernunft widersetzen sich derselben. Erstere hat den schwächeren Theil mit so viel Kraft ausgestattet, als er gebraucht, um Widerstand zu leisten, wenn es ihm gefällt, und letztere bezeichnet eine wirkliche Gewaltthätigkeit nicht nur als die roheste aller Handlungen, sondern auch als eine solche, die ihrem Endzwecke völlig widerstrebt. Erklärt doch der Mann in diesem Falle seiner Gefährtin den Krieg und berechtigt sie, ihre Person und ihre Freiheit, selbst auf Lebensgefahr des Angreifers hin, zu vertheidigen. Ferner steht doch auch wol der Frau allein das Recht zu, über den Zustand zu urtheilen, in welchem sie sich befindet. Kein Kind würde einen Vater haben, wenn sich jeder Mann dessen Rechte anmaßen könnte.
    Eine dritte Folge der Beschaffenheit der beiden Geschlechter ist die eigenthümliche Erscheinung, daß der Stärkere nur scheinbar der Herr ist, während er in der That von dem schwächern Theile abhängt, und zwar nicht etwa in Folge eitler Schmeichelei oder der stolzen Großmuth des Beschützers, sondern in Folge eines unveränderlichen Naturgesetzes, welches es dem Weibe leichter machte, Verlangen anzufachen, als dem Manne, es zu befriedigen. Dieses Naturgesetz hat also den Mann, er mag wollen oder nicht, von der Geneigtheit des Weibes abhängig gemacht und ihn gezwungen, auch seinerseits bemüht zu sein, demselben zu gefallen, so daß es folglich in den Willendes Weibes gesetzt ist, ihn als den Stärkeren gelten zu lassen oder nicht. Die Ungewißheit nun, in welcher der Mann schwebt, ob die Schwachheit der Stärke gewichen sei, oder ob sie sich mit Absicht ergab, ist eben für ihn das Süßeste bei seinem Siege. Darin besteht auch eine gewöhnliche List des Weibes, daß es diese Ungewißheit beständig zu erhalten weiß. Diese Schlauheit der Frauen steht auch vollkommen mit ihrer Körperbeschaffenheit im Einklang. Weit davon entfernt, über ihre Schwäche zu erröthen, rühmen sie sich derselben vielmehr. Ihre zarten Muskeln sind ohne Widerstandskraft; sie thun, als vermöchten sie nicht die leichteste Last zu heben, ja sie schämen sich förmlich, als stark zu gelten. Und weshalb das? Nicht blos, um sich den Anstrich der Zartheit zu geben, nein, sie benutzen es in ihrer Verschmitztheit als eine Vorsichtsmaßregel, sie wollen sich im Voraus entschuldigen und sich sogar das Recht vorbehalten, im Nothfalle schwach zu sein.
    Der Fortschritt der durch unsere Laster erworbenen Einsichten hat die über diesen Punkt unter uns herrschenden alten Ansichten

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