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Emil oder Ueber die Erziehung

Emil oder Ueber die Erziehung

Titel: Emil oder Ueber die Erziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Jacques Rousseau
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man es ihm geben will, so ist es besser, das Kind selbst zu dem Gegenstande hinzutragen, als umgekehrt den Gegenstand dem Kinde zu bringen. Aus dieser Handlungsweise zieht es einen seinem kindlichen Alter entsprechenden Schluß, und es gibt kein anderes Mittel ihn dazu anzuleiten.
    Der Abbé de St. Pierre nannte die Menschen große Kinder; umgekehrt würde man die Kinder kleine Menschen nennen können. Als Sentenzen haben dergleichen Sätze ihre Wahrheit, als Grundsätze bedürfen sie einer Erläuterung. Allein als Hobbes den Bösen, den Teufel, ein kräftiges Kind nannte, enthielt diese Bezeichnung einen offenbaren Widerspruch. Jede Bosheit ist die Folge von Schwäche; das Kind ist also nur boshaft, weil es schwach ist; kräftigt es, so wird es gut sein. Wer Alles vermöchte, würde nie etwas Böses thun. [29] Unter allen Attributen der allmächtigen Gottheit ist die Güte diejenige, ohne welche man sich dieselbe am wenigsten vorstellen kann. Alle Völker, welche an das Dasein zweier göttlichen Wesen glaubten, haben das böse stets dem guten für untergeordnet gehalten, sonst hätte ihre Annahme völlig widersinnig erscheinen müssen. Man vergleiche damit das Glaubensbekenntnis des savoischen Vikars, welches ich weiter unten anführen werde.
    Die Vernunft allein lehrt uns das Gute und das Böse erkennen. Das Gewissen, welches uns Liebe zu dem Ersteren und Haß gegen das Letztere einflößt, kann sich,trotzdem es von der Vernunft unabhängig ist, doch nicht ohne dieselbe entwickeln. Vor dem Alter der Vernunft thun wir das Gute wie das Böse, ohne es zu kennen, und es ist folglich mit unseren Handlungen keine Moralität verbunden, obgleich wir dieselbe bei den Handlungen Anderer, die uns in Mitleidenschaft ziehen, bisweilen herausfühlen. Ein Kind will Alles, was es sieht, aus einander nehmen; es zerbricht und zerschlägt, was es nur immer ergreifen kann; es packt einen Vogel, wie es einen Stein anpacken würde, und tödtet ihn, ohne zu wissen, was es thut.
    Weshalb das? Die Philosophie wird sich diese Thatsache sofort aus den uns angeborenen Mängeln erklären; der Stolz, die Herrschbegierde, die Eigenliebe, die Bosheit des Menschen, wozu man noch das Gefühl seiner Schwäche fügen könnte, flößen dem Kinde die Sucht ein, Gewaltthaten zu verüben und sich von seiner eigenen Kraft zu überführen. Aber man betrachte jenen gebrechlichen und altersschwachen Greis, der im Kreislaufe des menschlichen Lebens wieder zur Schwäche der Kindheit zurückgeführt ist, er bleibt nicht allein selbst unbeweglich und ruhig, er verlangt sogar, daß Alles um ihn her so bleibe; die geringste Veränderung stört und beunruhigt ihn; er möchte eine allgemeine Stille herrschen sehen. Wie könnte nun die nämliche mit denselben Neigungen verbundene Ohnmacht so verschiedene Wirkungen in diesen beiden Lebensaltern hervorbringen, wenn nicht entgegengesetzte Ursachen zu Grunde lägen. Und worin kann man diese Verschiedenheit der Ursachen wol anders suchen als in dem physischen Zustande der beiden Individuen? Der Beiden gemeinsame Thätigkeitstrieb beginnt sich bei dem Einen zu entwickeln, während er bei dem Andern zu erlöschen droht; der Eine ist im Bildungs-, der Andere im Auflösungsprocesse begriffen, der Eine hat ein langes Leben vor sich, der Andere steht an der Schwelle des Grabes. Die halberloschene Thätigkeit concentrirt sich im Herzen des Greises, im kindlichen Herzen zeigt sich der Thätigkeitstrieb von überschäumender Kraft und macht sich nach außen Luft. Das Kind fühlt sich gleichsam so voller Leben, daß es seine ganze Umgebungbeleben möchte. Ob es schaffe oder vernichte, darauf kommt es ihm nicht an, es ist schon damit zufrieden den Zustand der Dinge zu verändern und jede Veränderung bedeutet für dasselbe Thätigkeit. Der scheinbar größere Zerstörungstrieb desselben ist nicht die Folge einer angeborenen Bosheit, sondern läßt sich daraus erklären, daß die schaffende Thätigkeit stets eine langsame ist, und die zerstörende gerade um deswillen der Lebhaftigkeit des Kindes mehr entspricht, weil sie schnellere Resultate herbeiführt.
    Während der Schöpfer der Natur den Kindern diesen Thätigkeitstrieb einpflanzt, trifft er aber auch gleichzeitig Sorge, daß derselbe nur in geringem Grade schädlich wirken kann, indem er ihnen nur wenig Kraft zur Bethätigung desselben verleiht. Können sie jedoch die Personen ihrer Umgebung als Werkzeuge betrachten, deren Verwendung nur von ihrem Gefallen abhängt, so bedienen

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